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Reformen am Bedarf vorbei

 
     
 
Die evangelische Kirche ist in ihrer derzeitigen Form nicht zukunftsfähig. Daß dem so ist, beweist der Mitgliederschwund der vergangenen Jahre. Es ist zu befürchten, daß die Mitgliederzahl von derzeit 25,6 Millionen auf 17 Millionen im Jahr 2030 sinken und das Kirchensteueraufkommen sich halbieren wird. Bislang konnte die Kirche diesem Trend nur wenig entgegensetzen. Grund genug, den Kongreß, der vom 25. bis 27. Januar in Wittenberg
stattfand, unter das Motto "Zukunftskongreß der EKD", zu stellen. 308 Delegierte der 23 Landeskirchen waren eingeladen, sich mit den Reformvorschlägen, die der Rat der "Evanglische Kirche in Deutschland" (EKD) in seinem Impulspapier "Kirche der Freiheit - Perspektiven für die evangelische Kirche im 21. Jahrhundert" vorgestellt hatte, zu beschäftigen.

Bischof Wolfgang Huber eröffnete den Kongreß mit einem theologischen Einführungvortrag, den er Luther widmete, der in der Wittenberger Stadtkirche über 2000 Predigten gehalten haben soll; er stellte die pragmatisch orientierten Thesen des Zukunftspapiers der EKD vor. Von Qualitätsmanagement für alle Kirchenmitarbeiter ist da die Rede und von Mindeststandards für Landeskirchen. Auf der gesamten EKD-Ebene sollen verbindliche Standards für Gottesdienste, Rechtsformen und Bildungsinstitutionen geschaffen, Strukturen abgebaut und verändert, die Kirchensteuer vereinheitlicht werden. Für die Finanzierung des Unternehmens Kirche sollen neben der Kirchensteuer Einnahmen durch Spenden und Fundraising (sprich Sachspenden oder ehrenamtliches Engagement) einbezogen werden. "Kirche der Freiheit" meint auch neue Strukturen wie eine "Citykirche" und kulturelle "Leuchtfeuer". Eine "Marke evangelisch" müsse definiert und profiliert werden, heißt es in dem Papier. Soweit die Leitung des Kirchenrats.

Es gab aber auch kritische Kommentare. Ein Bischof der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche bezeichnete die Vorschläge als "Kopfgeburten". Zu akademisch und zu weit entfernt von den Bedürfnissen der Menschen kämen diese Vorschläge daher. Von einer "geistlichen Orientierungskrise" und mangelnden Kontaktmöglichkeiten zur Gemeinde sprachen die Kritiker. Nur im alltäglichen Kontakt sei es möglich, den Menschen das Gefühl von Zugehörigkeit, Vertrautheit und Beheimatung zu geben. Der Kirche sei ihre missionarische Aufgabe abhanden gekommen, hieß es.

Doch kann eine äußere Strukturreform der Kirche, eine Anpassung an die gesellschaftlichen Verhältnisse den Mitgliederschwund tatsächlich stoppen, oder ist vielmehr eine innere Umkehr vonnöten?

Wie sieht heute das Verhältnis eines durchschnittlichen Kirchenmitglieds zu seiner Gemeinde aus? Die meisten von uns nutzen Kirche als Dienstleister, nehmen sie zu wichtigen Familienfesten - Hochzeiten, Taufen, Konfirmationen und Beerdigungen - in Anspruch, besuchen allenfalls zu Ostern oder zu Weihnachten Gottesdienste. Warum das so ist, und wie die Einstellung zum Glauben ist, kann kaum jemand eindeutig erklären.

Daß den Menschen Glauben wichtig ist und es auch anders gehen kann, ist an den steigenden Mitgliederzahlen der Freikirchen oder Sekten zu sehen. Hier gibt es ein funktionierendes Gemeindeleben, in das die Gläubigen eingebunden und an dem sie aktiv beteiligt sind. Gottesdienste finden nicht nur am Sonntag, sondern täglich zu verschiedenen Zeiten in eigenen Kirchen- oder Gemeindezentren statt, deren Finanzierung aus freiwilligen Beiträgen realisiert wird; es gibt ein reichhaltiges Freizeitangebot. Vielen Alleinlebenden - deren Zahl in Zukunft zunehmen wird - ist die Glaubensgemeinde zur Familie geworden. Selbst im ländlichen Bereich schießen immer mehr Kirchen der Zeugen Jehovas, der Mormonen oder sonstiger Gruppen aus dem Boden, immer seltener entsteht eine evangelische oder katholische Kirche.

Dabei bemüht sich gerade die evangelische Kirche seit Jahren um offenere Gottesdienste. Es ist keine Seltenheit, daß mehrere Gemeindemitglieder gemeinsam mit dem Pfarrer den Gottesdienst gestalten, Lieder mit Gitarrenbegleitung vorgetragen werden, die Kantorei singt, Kinder biblische Geschichten aufführen. Familien- und Taufgottesdienste mit Beteiligung der ganzen Familie sind gut besucht. Daß darüber hinaus Gesprächskreise zu Alltagsproblemen, Gitarren- , Flöten- und Zeichenunterricht für Kinder angeboten werden, wissen nur wenige.

In einem Punkt ist den Oberen vom Rat der EKD zuzustimmen: Eine Qualitätssicherung auf allen Ebenen des kirchlichen Personals könnte sich positiv auswirken. Pfarrern, die ihre Aufgabe lediglich darin sehen, sonntäglich gutmenschliche Belehrung von der Kanzel zu predigen, hört niemand mehr zu. Wenn der Pastor der eigentlichen Aufgabe seines Berufes, nämlich der des Seelenhirten, wieder nachkäme, sich sozialen und karitativen Bereichen mehr widmen würde, müßte die EKD sich um moderne Strukturen keine Gedanken machen. Es wäre keine Schande, den Kollegen der Freikirchen zwecks Erfahrungsaustausch bei ihrer Arbeit über die Schulter zu sehen. Das wäre Markenzeichen genug.

Leere Kirchen: Häufig nur vereinzelt ein paar Senioren

 

Zeitzeugen

Wolfgang Huber - Der 1942 in Straßburg geborene Huber ist Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und seit 2003 auch EKD-Ratsvorsitzender. SPD-Mitglied Huber gehört eigentlich dem linken Flügel der Evangelischen Kirche an, vertritt in der Auseinandersetzung mit dem Islam jedoch neuerdings eher die kritische Position der Konservativen. So unterstrich der EKD-Ratsvorsitzende, daß Christen und Moslems nicht zu dem gleichen Gott beten.

Maria Jepsen - 1992 wurde die heute 61jährige Jepsen zur Bischöfin von Hamburg gewählt und damit zur weltweit ersten Frau auf einem evangelischen Bischofsposten. Jepsen gilt als ausdrückliche Vertreterin des linken EKD-Flügels und setzt sich vor allem für die "multikulturelle Gesellschaft" und den "interreligiösen Dialog" - vor allem mit dem Islam - ein.

Manfred Stolpe - Der 1936 in Stettin geborene Stolpe war bereits brandenburgischer Ministerpräsident (1990-2002), als ihn Vorwürfe einholten, er habe vor und während seiner Zeit als stellvertretender Vorsitzender des Evangelischen Bundes der DDR (1982-1989) unter dem Decknamen "IM Sekretär" mit der Stasi kolaboriert. Stolpe beteuert, niemandem geschadet zu haben. Von 2002 bis 2005 war Stolpe Bundesverkehrsminister unter Kanzler Schröder.

Oskar Brüsewitz - Mit seiner Selbstverbrennung am 18. August 1976 in Zeitz aus Prostest gegen den Kommunismus löste Pfarrer Brüsewitz eine breite Solidarisierungswelle in der ganzen DDR aus. In der Rückschau erscheint die dramatische Aktion des gebürtigen Memelländers (1929) daher als Beginn der Bürgerbewegung - und somit auch als Anfang vom Ende der DDR.

Peter Hahne - Fernsehjournalist Hahne ("Berlin Direkt", ZDF) ist seit 1992 Mitlgied des EKD-Rats und vertritt einen werteorientierten Konservatismus, der sich insbesondere gegen religiöse Beliebigkeit wendet. "Wenn alles gleich gültig ist, ist auch schnell alles gleichgültig", so das Credo des 54jährigen Leiters des ZDF-Hauptstadtbüros. Sein jüngstes Buch "Schluß mit lustig" wurde 800000mal verkauft und sogar ins
 
     
     
 
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