Revolutionen

Das Schönste am Gedächtnis sind die Lücken", lautet der Titel des neuen Buches des schon zu DDR-Zeiten bekannten Kabarettautoren Peter Ensikat. Doch wer aufgrund des Berufes des Autors und des schwungvollen, humorvollen Titels etwas zum Lachen erwartet, wird bitter enttäuscht. Ensikats neueste Arbeit ist von ernsthafter Natur. Für einen Moment mag der Leser sogar denken, er hat ein Werk eines überzeugten 68ers in den Händen, da der 1941 Geborene beginnt, sich über seinen Schwiegervater zu wundern, der immer stolz auf ein Foto war, das ihn mit dem letzten sächsischen König

zeigt. Er verurteilt seinen Schwiegervater dafür, daß er die Kaiserzeiten immer als die "guten, alten Zeiten" beschrieben hat. Doch es sind nicht nur die Lücken im Gedächtnis seines Schwiegervaters, auch seine Gedächtnislücken kommen zu Wort. So erwähnt er auch das Foto, das ihn mit Erich Honecker zeigt, nach dem ihm dieser eine Urkunde für das "von hoher Qualität getragene Gesamtschaffen des politisch satirischen Kabaretts in der DDR" überreicht hat. Zu gern hätte Ensikat sich selbst als Widerständler gesehen, der satirisch die Mißstände in der DDR anprangerte, doch dieses Foto führt ihm stets vor Augen, daß dies Wunschdenken ist, denn Widerständler werden nicht vom Feind geehrt.

"Das Schönste am Gedächtnis sind die Lücken" wandert quer durch das 20. Jahrhundert. "Mein Schwiegervater empfand die Novemberrevolution von 1918 als persönliche Niederlage. Für mich war die Wende 1989 zugleich Befreiung und doch auch Niederlage. Ich gehörte zu den ersten, die unter dem Ast lagen, an dem wir so lange gesägt hatten ... Jedenfalls waren es zwei Revolutionen - die eine habe ich erlebt, von der anderen habe ich gelesen. Nachdem ich jetzt lese, was über die von mir erlebte Revolution geschrieben wird, mißtraue ich allem, was ich über die andere gelesen habe." Fritz Hegelmann

Peter Ensikat: "Das Schönste am Gedächtnis sind die Lücken", Blessing, München 2005, geb., 19 Euro