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Schicksal ihrer Identität

 
     
 
Im August 1991 wurde nach fast 50jähriger Fremdherrschaft Litauen wieder als freie Republik anerkannt. Wolfgang von Stetten – Vorsitzender der Deutsch-Baltischen Parlamentariergruppe – lernte im Dezember 1992 eine Gruppe Deutscher kennen, die sich zu dem Verein "Edelweiß" zusammengeschlossen hatten und auch "Wolfskinder" genannt wurden. Bei diesen Personen handelt es sich um ostdeutsche Kinder, welche im Alter zwischen einigen Monaten und rund zehn Jahren am Ende des Zweiten Weltkrieg
es 1945/46 nach Litauen geflüchtet oder verschleppt worden waren. Zumeist hatten sie ihre Eltern auf der Flucht entweder durch Tod oder Trennung verloren und waren Waisen oder mindestens ohne familiäre Bindung.

Sie lebten in der Anfangszeit häufig in den litauischen Wäldern (daher der Name Wolfskinder) und bettelten sich von Hof zu Hof durch, um überhaupt ei-ne Überlebenschance zu haben. Während einige von der Roten Armee aufgegriffen und zwangsdeportiert oder gar umgebracht wurden, fanden andere Aufnahme und Zuflucht bei litauischen Familien. Sie lebten dort meist unter falschen Namen, um der gewaltsamen Verschleppung oder sonstigen Repressalien zu entgehen. Auch die litauischen Familien achteten darauf, daß die russischen Besatzer nicht merkten, wen sie in ihre Familie aufgenommen hatten. Nur eines von vielen Schicksalen sei im Orginalton gehört: "Ich hatte es mit meinen acht Jahren noch gut getroffen. Nachdem vor meinen Augen meine Mutter mehrfach brutal vergewaltigt und anschließend umgebracht wurde, konnte ich fliehen und wurde wenige Wochen später von einer litauischen Familie aufgenommen. Ich mußte zwar auch arbeiten, durfte aber die Schule besuchen, aber es war mir streng verboten, deutsch zu sprechen. Wenn ich es dennoch tat, mußte ich zur Strafe oft stundenlang auf Erbsen knien. Es war hart, aber ich habe es getragen, weil ich wußte, daß meine Pflegeeltern dies taten, um mich zu schützen."

Quasi automatisch oder wenn sie volljährig wurden, erhielten sie die sowjetische Staatsbürgerschaft, die sie gerne 1991 nach der litauischen Unabhängigkeit in die litauische umwandelten. Dies war, wie sich später herausstellte, eine verhängnisvolle Entscheidung, da sie damit – obwohl sie es nicht wußten und nicht wissen konnten – nach deutschem Recht ihre noch vorhandene deutsche Staatsbürgerschaft verloren.

Erst Anfang der 90er Jahre konnten sich die "Wolfskinder" auch wieder öffentlich ihrer eigentlichen Identität besinnen und versuchten mit deutschen Stellen und wenn möglich noch lebenden Angehörigen Kontakt aufzunehmen. Sie gründeten den Verein "Edelweiß" und kamen so mit Wolfgang von Stetten in Verbindung. In fast allen Fällen war der Wunsch vorhanden, ihre – nach ihrer Auffassung – nie abgelegte deutsche Staatsangehörigkeit auch formell wieder zu erhalten.

Unverständliche bürokratische Hürden von deutscher Seite wurden aufgebaut, und obwohl das Bundesverwaltungsgericht mehrere Wochen Mitarbeiter nach Wilna schickte, verzögerte sich der weitere Verwaltungsablauf durch andere deutsche Behörden immer wieder. Mehrfach wurden dieselben Abstammungsurkunden, unter anderem Heirats- urkunden, Geburtsurkunden, nachgefragt, welche die "Wolfskinder" schlichtweg nicht hatten und dieses auch bereits mehrfach mitgeteilt hatten. Nicht zu Unrecht verzweifelten manche an ihrem deutschen Vaterland.

Wolfgang von Stetten nahm sich dann persönlich dieser Dinge an und erreichte mit verschiedenen Bundesministerien und dem Bundesverwaltungsamt einen Kompromiß. Die Erlebnisgeneration der Wolfskinder kann in vereinfachter Art und Weise eine Wiedereinbürgerung beantragen. Dies wurde auch in vielen Fällen durchgeführt. Durch Aktenverschickung oder Referatswechsel kam es aber immer wieder zu unverständlichen Rückfragen bei den Wolfskindern. Manche dieser Deutschen sind Analphabeten, da sie keine Schule besuchen konnten oder durften.

Die meisten der Wolfskinder wollen in Litauen bleiben, aber im Besitz eines deutschen Passes sein, um auch ihre Herkunft bestätigt zu haben. Bei 26 Wolfskindern hat sich das Verfahren von selbst erledigt, sie sind in der Zwischenzeit verstorben. Von Stetten ist guter Hoffnung, daß die noch beim Bundesverwaltungsamt in Köln oder in den jeweiligen zuständigen Landes- oder Kommunalbehörden anhängigen Verfahren in den nächsten Monaten erledigt werden. Die Hilfe der Deutschen Botschaft in Wilna ist wohlwollend und beachtenswert, und sie hilft Schreibunkundigen bei der Stellung von Anträgen beziehungsweise Ausfüllen von Formularen.

Aufgrund der schlechten Ausbildungssituation in der Jugend stehen den in Litauen lebenden Wolfskindern – wenn überhaupt – nur geringe Rentenansprüche (umgerechnet rund 80 bis 100 Mark im Monat) zu. Ein Anspruch auf deutsche Rente besteht nicht, ebensowenig wie ein Anspruch auf Sozialhilfe, da diese nach dem Standard in Litauen berechnet wird und nicht nach dem Standard in Deutschland. Zur Zeit wird versucht, wenigstens für besondere gesundheitliche Aufwendungen Hilfen über die Botschaft zu gewähren.

Damit das Leben der Wolfskinder in Litauen nicht mit "Betteln", endet, wie es begonnen hat sind diese Menschen nach wie vor auf Unterstützung angewiesen. Deswegen werden über den Deutsch-Baltischen Parlamentarischen Freundeskreis Spenden gesammelt. Diese Spenden gehen an Deutsche, welche ohne jedes eigene Verschulden an den Folgen des Zweiten Weltkrieg leiden und endlich richtige Hilfe verdienen.

 

 
     
     
 
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