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Es ist Herbst. Eva sitzt im Zug von Stock-holm nach Skogstorp. Vor ein paar Wochen haben sie und ihr Bruder Einar die Mutter beerdigt. Während Einar tiefe Trauer zeigt, empfindet Eva ein Gefühl der Erleichterung und Befreiung. Doch wenn sie nachts wach liegt, drängt sich das Bild von den beiden Kindern in einem dunklen Zimmer auf. Warum hat sie am Grab Tante Viola ihre Choräle singen hören? Aber das kann sie Einar nicht erzählen, sonst denkt er, sie würde wieder "abdriften", in ihrer eigenen Welt versinken. Eva beschließt, in jene Kate im Wald von Skogstorp zurück-zukehren, in der sie und ihr Bruder als Kinder einen Sommer bei Verwandten verbrachten. Das Haus und die Umgebung sind gleich geblieben, alles wirkt nur verfallener und verwilderter. In dem Haus leben noch ihre Cousins Bruno und Sixten, dessen Frau Yvonne und Axel, der Sohn von Tante Viola.
Eva befällt sogleich wieder ein gewisses Unbehagen. Mit jedem Tag kehren die Erinnerungen an ihre Kindheit zurück. Die Mutprobe - wer traut sich, mit der Hand in den elektrischen Zaun zu greifen? Die Streifzüge mit Axel durch den Wald. Der Landstreicher am See, dem sie ungesehen Kuchen und belegte Brote hinlegen. Die geklauten Zuckerwürfel aus der Küche, die damals so kostbar waren. Stundenlang saßen sie verborgen in der riesigen Tenne. In der Ferne konnte man das Sanatorium sehen, das früher eine Irrenanstalt gewesen und aus dem Tante Viola angeblich weggelaufen war. Die Brutalität von Onkel Elis und ihren Cousins den Tieren gegenüber. Unvergessen, als Tante Viola auf geheimnisvolle Weise verschwand. "Dann kam der Tag, an dem unsere Eltern uns abholen sollten. Wir standen stundenlang mit unseren Koffern auf der Veranda. Es wurde dunkel und es fing an zu regnen. Unsere Eltern kamen nicht. Ich glaubte, unsere Verwandten hatten sich einen Spaß mit uns gemacht. Einar hat später behauptet, ich hätte mir das ausgedacht." Je tiefer Eva in ihre Erinnerungen eintaucht, um so mehr befällt sie ein nagender Zweifel: Was ist Realität, was ist Traum, was Phantasie? Letztendlich aber hat ihre Reise in die Kindheit nur einen Grund: Sie will wissen und begreifen, warum ihr Leben so geworden ist, wie es jetzt ist.
Der Autor Kjell Johansson läßt seine Hauptfigur Eva durch Erinnerung und Gegenwart, schlimmste Träume und Wirklichkeit segeln. Am Ende ihrer Reise erblickt sie schließlich einen hellen Streifen Hoffnung. - Ein lesenswerter, realitätsnaher Gegenwartsroman, der durchaus in unsere heutige Zeit paßt. Barbara Mußfeldt
Kjell Johansson: "Die Traumseglerin", Claassen Verlag, München 2004, 333 Seiten, geb., 21 Euro
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