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Mag sein, daß Juristen ihre helle Freude hatten an der Souveränität, mit der Otto Schily das Instrument "Untersuchungsausschuß" handhabte, um sich und seine Sicht der Dinge ins rechte Licht zu setzen. Nicht-Juristen fühlten sich, um eine harmlosere Formulierung zu wählen, auf den Arm genommen: So hat man sich den Umgang mit Verfassungsorganen - in diesem Falle einem Gremium des Deutschen Bundestages - eigentlich nicht vorgestellt. Daß ausgerechnet der für den Schutz der Verfassung zuständige Bundesminister dieses keineswegs vorbildliche Lehrstück vorführte, macht den Zorn vieler Bürger auch nicht geringer.
Der Innenminister, als Zeuge geladen, machte sich zum unumschränkten Herrn des Verfahrens. Und er machte das - zugegeben! - ausgesprochen geschickt und erfolgreich. Das war nicht mehr der besonnene, realitätsbewußte und auch aus konservativer Perspektive weitgehend akzeptable Innenpolitiker Schily - das war der alte, mit allen juristischen und ideologischen Wassern gewaschene Advokat Schily, der jeden Vorteil der Geschäfts- bzw. Strafprozeßordnung und jede Schwäche der Gegenseite konsequent nutzt. Zum Beispiel:
Trick 1: Mit einem mehr als fünfstündigen Monolog - Dauerredner Fidel Castro läßt aus dem fernen Kuba grüßen - werden Verfahrensbeteiligte und Publikum systematisch eingeschläfert. Als es endlich spannender zu werden verspricht, haben die meisten Fernsehzuschauer längst entweder ganz ab- oder zu den nachmittäglichen Gerichtsshows umgeschaltet.
Trick 2: Mit punktgenau gesetzen Pausen bestimmt Schily, der Minister mit der stets abrufbereiten Blase, den Rhythmus der Zeugenbefragung. So kann er den - leider ziemlich schwachen - Fragestellern der Opposition immer wieder den Wind aus den Segeln nehmen. In der "offenen Runde" etwa beantwortet er die erste Frage, egal um welchen Nebenkriegsschauplatz es geht, grundsätzlich so ausufernd, daß die 20 Minuten, die dem Fragesteller zustehen, schnell abgelaufen sind.
Den eigenen Leuten wird für ihre untertänigst vorgetragenen "Fragen" (die eigentlich Antworten mit künstlich angehängtem Fragezeichen sind) auch schon mal ein huldvolles "Ich danke Ihnen für diese Frage" zuteil. Wer hingegen kritisch nachzufragen trachtet (leider viel zu selten), wird mit hohntriefender Ironie abserviert.
Viele Beobachter empfanden den Auftritt Schilys vor dem Untersuchungsausschuß als maßlos arrogant. Womit sie auch recht haben. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Der bürgerlichen Opposition muß man vorwerfen, daß sie die Chancen dieses parlamentarischen Instruments wieder einmal nicht genutzt hat. Sie hätte durchaus die Möglichkeit gehabt, den gewieften Prozeß-Taktiker Schily aus der Reserve zu locken. Sie hat es ihm viel zu leicht gemacht, rechtzeitig zum beginnenden Wahlkampf sich selber nach Kräften zu loben und die unrühmliche Rolle seines Ministerkollegen und früheren Parteifreundes Joseph "Joschka" Fischer in der Visa-Affäre zu verharmlosen. Denn davon, daß der Außenminister hier entgegen seinem Amtseid Schaden von Deutschland nicht abgewehrt, sondern schuldhaft herbeigeführt hat, war kaum die Rede. Dies alles quälend lang im Fernsehen zu übertragen, hätte man sich sparen können. Der einzige, der davon einen Gewinn hatte, war der TV-Sender Phönix: So billig kommt man nicht alle Tage zu 15 Stunden Life-Programm!
Um ein legendäres Zitat aus der aktiven Zeit des damaligen Apo-Anwalts Otto Schily aufzugreifen: Der Wahrheitsfindung hat dieser letzte Sitzungstag des Untersuchungsausschusses nicht gedient. Wohl aber der zunehmenden Politik- und Politikerverdrossenheit vieler Bürger. Und das ist so ziemlich das letzte, was Deutschland heute braucht. |
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