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Schlachtfeld von Leidenschaften

 
     
 
Der Schriftsteller und Dramaturg Martin A. Borrmann (1895–1974) erinnerte sich einmal sehr anschaulich an den 11. Dezember 1924. Der 50. Geburtstag von Paul Wegener sollte gefeiert werden. Man hatte in die Königsberger Stadthalle gebeten. "Da stand ich nun", so Borrmann, "als einer zu der Feier Geladenen, zum ersten Mal ihm gegenüber, dem wohl größten Schauspieler seit Adalbert Matkowsky. Das Gesicht war nicht slawisch geformt, wie immer gesagt wird, sondern eher asiatisch, wozu aber die klaren blaugrauen Augen nun wieder nicht passen wollten ... Es war erstaunlich, wie er jedem Gratulanten, der ihm vorgestellt wurde, nicht nur in üblicher Weise dankte, sondern nach einer Sekunde Nachdenkens sofort ein kurzes Gespräch mit ihm führte, das mit dem Gebiet des Betreffenden zu tun hatte – mit mir über den derzeitigen Avantgardismus, mit dem er nicht allzuviel im Sinn hatte. Das erstaunte mich, zumal es auch in Wegeners Schlußansprache anklang. Er sagte: ,Ich glaube, jenseits der alle zehn Jahre wechselnden Stile mich doch bestätigt zu haben in der Richtlinie
des erstmaligen ostdeutschen Ansatzes. Ich glaube, daß das, was mich weitergebracht hat, im wesentlichen war, daß ich nicht irgendwelchen Dingen aus Gefallsucht nachlief. Ich glaube, daß das des Ostdeutschland Bestes ist, daß er sich selbst nicht aufgibt und daß er nicht des Scheines wegen nachgibt, sondern den Mut und die Kraft hat, er selbst zu sein.‘"

"Der Schauspieler Paul Wegener ist ein Schauspieler aus dem Wirklichen", schrieb einst Paul Fechter über den vor 125 Jahren (am 11. Dezember 1874) auf dem Rittergut Arnoldsdorf in Westpreußen Geborenen. "Aus kleinen Zügen baut er seine Menschenbilder auf – aber zugleich gibt er ihnen die Wucht seines Daseins. Sie stehen auf der Bühne wie er selber im Leben, breit, ruhig, in gesammelter Energie – und alle haben etwas, als ob sie irgendwo oben jenseits der Weichsel geboren sind." Und in der Tat: hat man Paul Wegener einmal auf der Bühne oder im Film bewundern können, so war das ein unvergeßliches Erlebnis, nachvollziehbar auch für jüngere Menschen, werden doch im Fernsehen hin und wieder auch alte Filme mit diesem großen ostdeutschen Mimen ausgestrahlt.

Angefangen hatte alles wohl mit einer Faust-Aufführung, die der junge Wegener in Königsberg sah. Nach der Vorstellung stand sein Entschluß fest: "Den roten Kerl mit der Feder auf dem Kopf werde ich auch einmal spielen!" – Aber selbst vor solche Vorsätze haben die Götter den Schweiß gesetzt, und so mußte der Junge, dessen Familie schon bald nach seiner Geburt auf das Rittergut Bischdorf (im 17. Jahrhundert Sommersitz der ermländischen Fürstbischöfe) im Kreis Rößel gezogen war, zunächst in der Kreisstadt und später in Königsberg die Schulbank drücken. Mit Freunden gründete er schon als Schüler den dramatischen Verein "Melpomene", schrieb lyrische Gedichte und Balladen und diskutierte bis in den frühen Morgen. In Königsberg dann auch die Begegnung mit dem Theater, dort wirkte er – obwohl für ihn als Schüler verboten – als Komparse am Stadttheater mit. Auch in selbstgeschriebenen Stücken, die sie im Verein "Melpomene" aufführten, trat er auf. Schließlich aber verließ Wegener Königsberg, um in Freiburg und Leipzig pro forma Jura zu studieren. Seine Liebe aber galt der Philosophie, der Kunstgeschichte und natürlich dem Theater.

Seine Bühnenlaufbahn begann der Ostpreuße in Rostock; sie führte ihn über Wiesbaden und Hamburg nach Berlin, wo er zu Max Reinhardt, dem legendären Regisseur, kam. Das war im Jahr 1906, und bis zu Wegeners Tod am 13. September 1948 spielte der Ostpreuße auf Bühne und Leinwand große Charakterrollen. So verkörperte er im September 1945 bei der Wiedereröffnung des Deutschen Theaters in Berlin den Nathan in Lessings "Nathan der Weise", eine Rolle, die Wegener, einer der ältesten noch lebenden Reinhardt-Schauspieler noch viele Male spielen sollte. In einer Kritik war damals zu lesen: "Die Vorstellung im Deutschen Theater reißt Paul Wegeners Nathan zur Größe hinauf. Er packt schon in der Individualisierung der Maske. Nicht der ideale Tugendsprecher einer versunkenen Bühnentradition geht da mit wuchtig tappendem Schritt umher, in Grau und Weinrot, mit weinroter Kappe. Sondern ein in Würde vergreister Mann, graue Haarbündel an den Schläfen, das Antlitz bartbeklebt, aber in jeder Miene beredt. Ein Antlitz, das bei dem Ausbruch des Schmerzes im vierten Akt, bei dem bis dahin verschwiegenen Jammer des Märtyrers um seine hingemordete Frau, seine sieben hingemordeten Söhne für Minuten wieder ist, was es in Wegeners Jago war, seinem Othello, seinem Danton: ein Schlachtfeld von Leidenschaften ..." (Paul Wiegler).

Auch als Drehbuchautor und als Regisseur versuchte Paul Wegener sich. Sein bedeutendster Film war zweifellos "Der Golem – wie er in die Welt kam" (1920), die von Wegener selbst erfundene Filmhandlung vom künstlichen Menschen, der, durch magische Kräfte belebt, Unheil anrichtet. Wegener selbst spielte die Titelrolle; die Bauten entwarf der Architekt Hans Poelzig.

Großes Aufsehen erregte in Fachkreisen ein "Schatz", den Mitarbeiter des Filmmuseums und des Instituts für Filmkunde in Frankfurt/Main auf der Suche nach Materialien über den Architekten Hans Poelzig entdeckten – sie stießen dabei auf den Nachlaß des Wegener-Biographen Kai Möller. Als eine besondere Kostbarkeit dieser Hinterlassenschaft wertet man das Repertoire-Buch, in dem Wegener seit 1897 täglich handschriftlich eintrug, welche Rollen er zu welchem Zeitpunkt spielte. Auch notierte er, welche seiner Filme wann und wo gedreht wurden.

Der Nachlaß enthält weiter mehr als 2000 Fotos von Wegener in Film- und Bühnenrollen, Fotos aus als verschollen geltenden Filmen, Korrespondenzen, Theaterzettel, zeitgenössische Rezensionen, aber auch Akten der 1923 gegründeten "Paul-Wegener-Aktiengesellschaft".

Paul Wegener war im In- ebenso bekannt wie im Ausland. Aber, so Ludwig Goldstein, Feuilletonchef der "Hartungschen Zeitung": "Er hat über allen seinen Erfolgen nicht die Heimat vergessen und fühlt sich ganz als Ostpreuße. Er ist es auch. Denn in ihm lebt etwas von der verträumten Schwere dieses nordischen Landes und der Licht-Sehnsucht seiner Bewohner; etwas von dem wintertagklaren Geiste Kants und etwas von der herbstnebeligen Schwärmerei Hamanns; etwas aber auch von der kosmopolitischen Allbildung Herders ..."

 
     
     
 
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