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Europa: Auf dem Weg zum Gleichheitsstaat

 
     
 
Das Verhalten einer Reihe von EU-Mitgliedstaaten gegenüber der neuen Regierung in Österreich hat schlagartig deutlich gemacht, daß die sogenannte "europäische Wertegemeinschaft", als die sich die EU gerne sieht, Gefahr läuft, zu einer europäischen Zwangsgemeinschaft zu werden. Der Wertekanon, mit welchem die EU eine humane "europäische Gesellschaft" verbürgen will, droht mehr und mehr in eine Tyrannei der Werte umzuschlag
en, die auch vor demokratischen Willensentscheidungen in EU-Staaten nicht mehr haltmacht.

Diese Tyrannei der Werte, die im Falle Österreichs spektakulär zu Tage getreten ist, bestimmt inzwischen mehr oder weniger alle Entscheidungsprozesse der EU, was erhebliche Konsequenzen für die nationale Souveränität der EU-Mitgliedstaaten haben wird. Zwar ist die EU derzeit noch auf eine Wirtschafts- und Währungsunion eingegrenzt, die Kompetenzen aber, die die EU-Gremien inzwischen an sich gezogen haben, deuten mehr und mehr in Richtung politische Union. Der Vertrag von Amsterdam hat hierfür in vielen Bereichen den Weg geebnet. Welche Gefahren der Souveränität der einzelnen EU-Mitgliedstaaten drohen, soll an dieser Stelle an den Maßnahmen zur Bekämpfung von "Diskriminierungen" in der EU exemplarisch aufgezeigt werden. Diese Maßnahmen gehen auf den Artikel 13 des Amsterdamer Vertrages ("Antidiskriminierungsklausel") zurück. Mit dem Maßnahmenpaket zur Bekämpfung von Diskriminierungen sollen die bereits sehr weitgehenden nationalen Rechtsvorschriften "untermauert und weiterentwickelt" bzw. angebliche "Lücken" geschlossen werden.

Das Maßnahmenpaket besteht aus einer "Richtlinie zum Verbot von Diskriminierungen im Bereich der Beschäftigung, durch die Diskriminierungen aus Gründen der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Orientierung". Eine Richtlinie zum Verbot von Diskriminierungen aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft ist geplant, die die verschiedensten Bereiche umfaßt: Beschäftigung, Bildung, Zugang zu Waren und Dienstleistungen, Sozialschutz etc. Schließlich plant die EU ein Aktionsprogramm, das die Umsetzung der Richtlinien unterstützen soll.

Die Kommissarin der Generaldirektion V ("Beschäftigung und soziale Angelegenheiten"), die griechische Sozialistin Anna Diamantopoulou, kommentierte die Annahme dieses Maßnahmenpakets Ende November vergangenen Jahres wie folgt: "Heute haben wir einen entscheidenden Schritt auf dem Weg hin zu einem sozialen Europa getan. Viele europäische Bürger haben unter Diskriminierungen zu leiden. (!) Wir wollen erreichen, daß überall in der Europäischen Union derselbe Schutz vor Diskriminierungen gewährleistet ist … Die von uns vorgeschlagenen Maßnahmen werden bewirken, daß sich im Leben der Menschen wirklich etwas ändert, denn künftig sollen die Opfer über eine konkrete Handhabe verfügen, um gegen Diskriminierungen vorzugehen."

Weiter steht in der Pressemitteilung zu lesen: "Mit den Kommissionsvorschlägen wird ein klares Zeichen gesetzt: sie machen unmißverständlich deutlich, daß die Gemeinschaft mehr Gleichheit in der Gesellschaft anstrebt." Wer unter die angeblich Diskriminierten fällt, verdeutlicht der Anfang des Jahres von der Europäischen Stelle für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC) herausgegebene Jahresbericht 1998: gemeint sind vor allem Nicht-EU-Ausländer. Diese sind laut Jahresbericht der EUMC in der EU von "Rassismus und Fremdenfeindlichkeit bedroht, der überall gegenwärtig ist: kein Mitgliedstaat ist davon ausgenommen."

Was die Kommission bei ihrer Diskriminierungsbekämpfung im Blick hat, zeigt der "Aktionsplan gegen Rassismus" vom 25. März 1998. Dort wird dekretiert: "Die europäischen Gesellschaften sind multikulturell und multiethnisch, und die Vielfalt ihrer Kulturen und Traditionen ist ein positiver und bereichernder Faktor. Der Kampf gegen Rassismus geht Hand in Hand mit der Förderung einer Gesellschaft, die die Integration und volle Partizipation aller Gruppen aktiv unterstützt."

Weiter wird in dem "Aktionsplan" festgestellt: "Der Kampf gegen den Rassismus erfolgte lange Zeit über die Nichtregierungsorganisationen. Sie spielen eine entscheidende Rolle, denn sie fördern die Aktionen an der Basis und sorgen gleichzeitig dafür, daß die Rassismusproblematik nicht von der politischen Tagesordnung verschwindet. Die Kommission unterstützt über das MigrantInnenforum in seiner umfassenden Rolle als Vertretung von Organisationen für Immigranten und ethnische Minderheiten auf europäischer Ebene."

Der Stellenwert, den die Kommission der Bekämpfung des angeblich allgegenwärtigen Rassismus in den EU-Mitgliedstaaten einräumt, zeigt sich darin, daß diese den "Kampf gegen Rassismus" als politische "Querschnittsaufgabe" (in der EU-Sprache: "Mainstreaming") betrachtet. Zu dieser Aufgabe gehört auch die nationale Beschäftigungspolitik. Hierzu stellt der "Aktionsplan" fest: "Die Förderung der Beschäftigung ist für den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt aller Gesellschaft grundlegend und somit zur Veränderung der sozialen Bedingungen unerläßlich, unter denen sich Rassismus und rassistische Spannungen entwickeln. Erfahrungen zeigen, daß bestimmt Gruppen, insbesondere Immigranten und ethnische Minderheiten, unverhältnismäßig stark unter Arbeitslosigkeit und mangelnden Aufstiegsmöglichkeiten am Arbeitsplatz leiden." Die Kommission unterstützt deshalb mit Vorrang solche Maßnahmen, "die die Vorteile einer multikulturellen Belegschaft aufzeigen".

Inzwischen hat die Kommission einen Vorschlag für eine "Richtlinie des Rates … für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf" vorgelegt (25. November 1999). Es kann davon ausgegangen werden, daß der EU-Ministerrat diesem Vorschlag zustimmen wird, der dann als Richtlinie in nationales Recht umgesetzt werden muß.

Aufschlußreich an dieser Richtlinie ist, daß die Kommission sich nicht mit der Bekämpfung "unmittelbarer Diskriminierungen" (wie der "unterschiedlichen Behandlung aufgrund eines bestimmten Merkmals" wie Rasse, Religion etc.) zufriedengibt. Nein, diese Richtlinie will auch "mittelbare Diskriminierungen" sanktionieren. Unter "mittelbaren Diskriminierungen" versteht die Kommission "dem Anschein nach (!) neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren", die "ihrem Wesen nach geeignet sind, eine bestimmte Person oder Personengruppen" aus rassischen, religiösen, sexuellen, ethnischen oder körperlichen Gründen heraus zu benachteiligen.

Alle diese Maßnahmen dienen laut Aussage der Kommissarin Diamantopoulou dem Ziel, "mehr Gleichheit in der Gesellschaft" herbeizuführen. "Gleichheit" meint hier die völlige Schleifung der Unterschiede zwischen Zuwanderern und Einheimischen. Ja, selbst Asylanten sollen von dieser Gleichstellung profitieren, denn laut den Leitlinien einer Gemeinschaftsiniitiative mit dem bezeichnenden Namen "EQUAL" soll bei der "Förderung neuer Methoden zur Bekämpfung von Diskriminierungen und Ungleichheiten" auch "die soziale und berufliche Eingliederung von Asylbewerbern gebührend berücksichtigt werden" …

Die Kommission moniert, daß "in den meisten Mitgliedstaaten Asylbewerbern als solchen der Zugang zum Arbeitsmarkt entweder ganz untersagt oder aber durch restriktive Bedingungen erschwert" werde. EQUAL gehört, dies sei hier ausdrücklich erwähnt, zum "Antidiskriminierungspaket" des Europäischen Parlamentes, das derzeit noch beraten wird.

Hinter diesen Maßnahmen zur Herbeizwingung von mehr "Gleichheit in der Gesellschaft" steht ganz offensichtlich die aus der Aufklärung stammende Vorstellung, daß jede Ungleichheit zwischen Menschen, sei diese nun gesellschaftlich oder staatlich begründet, eine Versuchung zur Gewalt (neudeutsch: "Diskriminierung") über den Mitmenschen darstellt. Die Durchsetzung von Egalität, verstanden als Machtminderung, soll, denkt man die Leit- oder Richtlinien der EU-Kommission zu Ende, nicht nur den Abbau von Gewalt von Menschen über Menschen mit sich bringen. Auch das Verhältnis des Bürgers zum Staat soll durch den Abbau von Gewalt gekennzeichnet sein. Die Gleichheitsordnung, die die EU von oben durchzusetzen trachtet, soll eine gewaltlose Gesellschaft verbürgen.

Diese "antiautoritäre" Begründung des Gleichheitsdogmas, mit der der gutgläubige Zeitgenosse geködert werden soll, wird freilich eine Illusion bleiben. Die Realität ist eine ganz andere: die Flut von Regelungen und Verordnungen, mit der die EU ihre Mitgliedstaaten im Namen "gleicher Lebensbedingungen" zu "harmonisieren" (besser: zu nivellieren) trachtet, schwächt die Herrschaftsverhältnisse von Menschen über Menschen nicht ab, sondern potenziert diese noch. Die EU gerät bei dem Versuch, eine europäische Gleichheitsordnung herzustellen, in einen Konsequenzzwang, der ihre Richtlinien und Beschlüsse lawinenartig anwachsen läßt. Diese Entwicklung liegt in der Natur der Sache: Zur Erreichung eines vorgegebenen Gleichheitszieles (Stichwort: "Antidiskriminierungspaket") müssen immer neue Aktivitäten entfaltet werden. Der Konsequenzzwang, der sich aus dem Gleichheitsdogma ergibt, wirkt sich nicht nur egalitätsausdehnend, sondern auch egalitätsintensivierend aus. Hochproblematisch an dieser Entwicklung ist die Beobachtung, daß die individuelle Freiheit mit jeder Umdrehung, mit der die Egalitätsschraube weitergedreht wird, nicht aus-, sondern abgebaut wird. Dies deshalb, weil die Kommission von der Zulässigkeit des Zieles (Antidiskriminierungsmaßnahmen) auf die Notwendigkeit der Mittel meint schließen zu dürfen.

So schafft das Gleichheitsziel "Abbau gesellschaftlicher Diskriminierungen" eine ganze Reihe neuer Herrschaftsinstrumente (in der EU-Sprache "Sanktionsmaßnahmen"), welche vor dem Hintergrund des Zieles "mehr Gleichheit" alle legitim erscheinen. Deshalb kann von einer Herrschaftsmultiplikation der EU gesprochen werden. Proportional zu ihrer Herrschaftsausdehnung wird aber der Rahmen nationalstaatlicher Kompetenzen entkernt. Dieser Prozeß geht fast unmerklich vor sich, da die Nivellierung im Namen der Gleichheit ja keinem Unrecht, nur vielen mehr Recht geben soll.

Der EU fällt in diesem Prozeß mehr und mehr die Rolle des Schiedsrichters zu. Diese greift inzwischen überall "harmonisierend" ein, von der Religion bis zum Einzelhandel. In der Natur dieser Schiedsrichtertätigkeit im Namen der "gleichen Lebens- und Wettbewerbsbedingunen" liegt der ständige Ausbau der Zentralgewalt.

Diese Zentralgewalt erodiert im übrigen zwingend den Föderalismus, der den Egalitätstendenzen aus Brüssel entgegensteht. Förderalismus heißt nämlich im Kern staatsrechtliche Unterschiedlichkeit, Tradition und Leistungsfähigkeit, die der "reinen Egalität" entgegenstehen. Es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, wie lange der insbesondere für den deutschen Staatsaufbau so konstitutive Föderalismus noch mit Leben erfüllt bleibt.

Vor diesem Hintergrund ist das Verhalten der EU gegenüber Österreich nicht Ausdruck einer überzogenen Reaktion, sondern eine zwingende Konsequenz aus der totalitären Metamorphose der EU im Namen der "Gleichheit der Lebensverhältnisse". Die Herausforderung der "Freiheitlichen" des Jörg Haider für die EU bestand darin, daß diese begriffen haben, daß Freiheit und Gleichheit einen unauflösbaren Widerspruch darstellen, der nicht in Spannung bleibt, sondern mit dem Siege der freiheitszerstörenden Gleichheit endet.

 
     
     
 
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