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Die Kriege und das schreckliche Geschehen auf dem Balkan haben andere Krisengebiete in der Welt weitgehend aus den Schlagzeilen verbannt. Kaum jemand, der sich noch um die Menschen in dem vom Krieg verwüsteten Afghanistan sorgt. In dem ohnehin zu den ärmsten Ländern der Welt gehörenden Land am Hindukusch gibt es keine Infrastruktur mehr, die Menschen sind ohne Arbeit, die Felder vermint. Jede vierte Frau ist durch die Kriegswirren zur Witwe geworden; 16 von 100 Kindern sterben im ersten Lebensjahr. Überhaupt liegt die mittlere Lebenserwartung der Menschen bei 44 Jahren. Die medizinische Versorgung ist nahezu auf den Nullpunkt gesunken. Wenn, ja wenn es nicht immer wieder Menschen gäbe, die sich um besonders Notleidende sorgen
Karla Schefter ist solch ein Mensch. Geboren 1942 im ostdeutschen Allenstein, wollte sie schon als Kind entweder in die Mission gehen oder einen Forscher heiraten, um mit ihm Expeditionen in ferne Länder zu unternehmen. Ferne Länder hat sie schließlich viele besucht (insgesamt bisher 86!); in Afghanistan aber ist ihr Herz geblieben. Dort lebt und arbeitet die ehemalige Operationsschwester der Städtischen Kliniken Dortmund seit 1989. Neun Monate ist die beherzte Frau dort; drei Monate im Winter nimmt sie sich die Zeit, um auf Vortragsreisen in Deutschland von ihrem Tun zu berichten.
Zentrum ihres Wirkens ist ein Tal in der Provinz Wardak, Distrikt Chak, etwa 65 Kilometer südlich von der Hauptstadt Kabul gelegen. In diesem fruchtbaren Tal es liegt 2400 Meter hoch herrschen wie in vier Fünftel des Landes die Taliban, islamische Fundamentalisten, die Afghanistan mit aller Macht in einen Gottesstaat verwandeln wollen. Dennoch ist es dort friedlich geblieben; selbst das von Siemens 193842 erbaute Kraftwerk wurde während der Auseinandersetzungen verschont und kann so zumindest Schwachstrom liefern. Und der ist notwendig, denn seit 1989 gibt es auf Be- treiben der Allensteinerin Karla Schefter in diesem Tal ein kleines Hospital (Vollbetrieb seit 1993/94), das schon mehr als 100 000 Patienten versorgt hat.
Meist (70 Prozent) sind es Frauen und Kinder, die Hilfe suchen in diesem Hospital, das mit seinen 40 Betten (davon 20 nur für Frauen) nicht gerade groß, aber effektiv ist. Die Patienten nehmen oft lange und für Europäer kaum vorstellbar beschwerliche Wege auf sich, um nach Chak-e-Wardak zu kommen. Dort aber erwarten sie gut ausgebildete Ärzte, darunter auch zwei Ärztinnen, und Pflegepersonal, übrigens alles Afghanen, sowie eine gute technische Ausrüstung (Röntgen, Ultraschall oder EKG). Wichtig für die Frauen (und für die auf die Moral besonders achtenden Taliban): ein Viertel des medizinischen Personals sind Frauen. Dennoch ist es in Afghanistan Sitte, daß kein Kranker allein in ein Hospital geht, und so wird er stets von mindestens einem Verwandten begleitet. Diese Begleitperson findet im Hospital schließlich auch einen Platz, muß aber mit anpacken, wenn es heißt, den Patienten zu versorgen. Ambulante Patienten müssen im Chak-e-Wardak-Hospital eine kleine Summe für die Behandlung bezahlen, die stationäre Behandlung ist kostenlos.
Regelmäßig fahren die Ärzte auch in abgelegene Dörfer, um dort Patienten ambulant zu versorgen und gesundheitliche Aufklärung zu leisten. Überhaupt liegt es Karla Schefter, die seit 1993 das Projekt leitet und als einzige Europäerin vor Ort ist, sehr am Herzen, die Situation der afghanischen Frauen zu verbessern. In einem Land, da Frauen das Haus nur verschleiert verlassen und auch keinen Beruf ausüben dürfen, bietet sie in dem Hospital neben der Aus- und Weiterbildung der eigenen Krankenschwestern und einer Impfassistentin auch Kurse für dörfliche Hebammen und für Betreuerinnen für Behinderte an mit Zustimmung der Taliban! Nicht zuletzt durch ihr Engagement zählt das Hospital heute zu den fünf bestausgerüsteten und bestgeführten Krankenhäusern in Afghanistan.
Das war nicht immer so. Der Anfang war beschwerlich und voller Hindernisse. Gelder fehlten (auch heute wird das Krankenhaus vornehmlich von privater Seite gefördert; nähere Informationen beim Komitee zur Förderung medizinischer und humanitärer Hilfe Afghanistans e.V., c/o Hans-J. Lebuser, Schmittburgstraße 11, 64546 Mörfelden-Walldorf), die Menschen vor Ort mußten überzeugt werden. Heute sind selbst die Taliban von der Bedeutung des Krankenhauses überzeugt und haben es unter ihren Schutz gestellt. Es lag vielleicht nicht zuletzt auch an dem Feingefühl, mit dem Karla Schefter der Europäern so fremden Kultur des Islam begegnete. Mit Respekt vor den anderen Sitten und Bräuchen, aber auch mit dem typisch ostdeutschen Dickschädel, sich für lohnenswerte Dinge einzusetzen, erreichte die Allensteinerin das Unmögliche. Schwierige Situationen schweißten die Gemeinschaft der Helfer zusammen; gemeinsam arbeitete man, gemeinsam freute man sich am Erfolg. "Wenn man jeden Tag so viele, so kranke Menschen sieht, dann ist man von der Notwendigkeit eines solchen Projektes überzeugt", so Karla Schefter. Die Probleme einer Europäerin in einem islamischen Land schrecken die Ostpreußin nicht. Für sie zählen die Menschen, die ihre Hilfe dringend brauchen. Und, in einem Interview angesprochen, ob sie sich in Afghanistan mit den strengen Regeln nicht eingeengt fühle, sagte sie: "Freiheit bedeutet für mich, Grenzen freiwillig zu akzeptieren." 1993 wurde Karla Schefter mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet. Mit Mut und Ausdauer hat sie in zehn Jahren so vielen Menschen, vor allem aber Frauen und Kindern, in einem von Krieg und Willkür zerstörten Land helfen können. Möge ihr die Kraft bleiben, ihr Werk fortzusetzen!
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