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Schockierende Frauenberichte

 
     
 
Vae victis - wehe den Besiegten!" Nur selten in der neueren europäischen Geschichte dürfte dieser dem gallischen Heerführer Brennus zugeschriebene Ausspruch eine solche Gültigkeit gehabt haben wie beim Einfall der Roten Armee in die ostdeutschen Provinzen am Ende des Zweiten Weltkrieges. Wo immer die sowjetisch
en Truppen weiter in das Innere des Reiches vordrangen, hinterließen sie eine breite Blutspur. Denn diejenigen, die ihnen in die Hände fielen - Frauen, Kinder, Alte, Gebrechliche und verwundete Wehrmachtsangehörige - waren ihnen wehrlos ausgeliefert. Flüchtlingstrecks, die nicht schnell genug von der Straße kamen, wurden unter den Panzerketten zermalmt. Frauen jeden Alters wurden brutal geschändet, sadistisch gequält und tausendfach ermordet. Wer sich ihnen widersetzte oder den Siegern im Wege war, wurde kurzerhand erschlagen oder zu Tode gequält. Nirgendwo in Deutschland ist der Krieg seitens der Sieger mit einer so menschenverachtenden Brutalität geführt worden wie in Ostdeutschland.

Dies ist sicherlich eines der tragischsten Kapitel des Krieges. Ihm hat der bekannte Sachbuchautor Heinz Schön seine Dokumentation "Im Heimatland in Feindesland. Schicksale ostdeutscher Frauen unter Russen und Polen 1945-1948" gewidmet. Als Überlebender des Untergangs der "Wilhelm Gustloff" und Teilnehmer am Unternehmen "Rettung über See" hat er gleich nach Kriegsende damit begonnen, die Ereignisse, deren Zeuge er war, zu erforschen. Sein Archiv zu dieser Thematik ist einzigartig. Aus seiner Feder stammen unzählige Abhandlungen zu Krieg, Flucht und Vertreibung aus Ost- und Westpreußen, Danzig und Pommern. Trotz seines eigenen Erlebens gelingt es Schön in seinen Publikationen stets, die erforderliche Distanz zum Thema seiner Untersuchung zu wahren. So vermag er seine Leser als sachlicher Chronist zu fesseln. Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um ein Werk, dessen Kern 27 Erlebnisberichte ostdeutscher Frauen sind. Die meisten Berichte befinden sich im Original im Archiv des Autors, jeder Bericht ist mit einer Quellenangabe versehen.

Nach der Mitte Januar 1945 begonnenen sowjetischen Großoffensive setzte die Massenflucht aus Ostdeutschland ein. Doch die Möglichkeiten, Ostdeutschland rechtzeitig zu verlassen, waren begrenzt. So mußten fast 200.000 Menschen zurückbleiben. Dies waren vor allem Frauen mit Kindern, deren Männer an der Front standen, Alte und Kranke. Von ihrem unvorstellbaren Leid zeugen diese Erlebnisberichte. Die ersten, die unter der Brutalität der sowjetischen Kriegsfurie zu leiden hatten, waren die Flüchtlinge, deren Trecks von der Roten Armee eingeholt wurden. Dann kamen die Daheimgebliebenen an die Reihe, die sich in Ruinen, Kellern und Häusern oder auf den Höfen versteckt hatten. Was mit diesen wehrlosen Menschen gemacht wurde, sprengt jedes Vorstellungsvermögen. Die Sieger vergewaltigten, quälten und mordeten mal planmäßig, mal willkürlich. Doch auch nachdem diese monatelange Gewaltorgie endlich vorüber war, ging das Leiden der Zurückgebliebenen weiter. Kinder, Kranke und Alte, die nicht arbeiten konnten, ließen die Sieger einfach verhungern. Und die anderen bekamen gerade das Allernötigste. Trotzdem starben sie zu Tausenden an Unterernährung. Ruhr, Typhus und andere Seuchen breiteten sich aus und forderten viele Opfer. Erst die Vertreibung aus der Heimat setzte den Qualen nach Jahren ein Ende.

Die Erlebnisberichte werden durch rund 100 meist unbekannte Fotos, von denen einige aus russischen Archiven stammen, illustriert. Selbst derjenige, der schon viele Berichte von Krieg, Flucht und Vertreibung gelesen hat, bleibt von dieser Lektüre nicht unberührt. Jede der hier wiedergegebenen Aussagen spiegelt ein menschliches Schicksal wider. Die Frauen, die hier zu Wort kommen, sind ganz unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Herkunft, sie haben unterschiedliche Bildung und stammen aus unterschiedlichen Berufen. Doch gleichen sich ihre Erinnerungen an vielen Stellen. Denn eines ist ihnen gemein: Sie mußten schuldlos Erniedrigung, Gewalt, Hunger und Krankheit ertragen.

Für diese Schandtaten der sowjetischen Soldaten gibt es weder eine moralische noch eine völkerrechtliche Rechtfertigung. Die Behauptung, ihr Verhalten sei nichts anderes als die verständliche Rache für das brutale Vorgehen der Wehrmacht gewesen, ist zu einem festen Bestandteil der heute in unserer Gesellschaft geübten Selbstanklagerituale geworden. Doch diese Argumentation ruht auf tönernen Füßen. Niemand, der sich seriös mit der Geschichte des Zweiten Weltkrieges auseinandersetzt, wird bestreiten, daß auch deutsche Soldaten schlimme Kriegsverbrechen begangen haben. Doch hat es sich dabei um Einzelfälle oder örtlich begrenzte Maßnahmen gehandelt. Nie hat es von der militärischen Führung sanktionierte - oder gar angeordnete - Massenvergewaltigungen gegeben, und nie hat eine ganze deutsche Armee wie im Blutrausch die wehrlose Zivilbevölkerung abgeschlachtet.

Zudem stammte ein großer Teil der sowjetischen Soldaten, die unter der deutschen Zivilbevölkerung wüteten, aus Sowjetrepubliken, die vom Krieg überhaupt nicht berührt worden waren. Und den mongolischen Angehörigen einer Schützendivision beispielsweise dürften Verheerungen in dem ihm vollkommen fremden Weißrußland tatsächlich weder interessiert noch Rachegelüste in ihm geweckt haben, war er doch durch die Androhung staatlicher Gewalt und keineswegs durch Überzeugung zur Teilnahme an Stalins "Großem Vaterländischen Krieg" bewegt worden. Auch ist heute bekannt, daß Stalins "Fackelmänner" einen großen Anteil an den Zerstörungen im eigenen Land hatten.

Stalins Chefpropagandist Ilja Ehrenburg, Armeejournalisten und Kommandeure, die die Deutschen als Tiere und Bestien bezeichneten und die Soldaten unmißverständlich dazu auffor- derten, alle Deutschen zu töten, haben den Boden für dieses kollektive Kriegsverbrechen ungeheuren Ausmaßes bereitet. Insbesondere bei den Angehörigen der Sowjetvölker, in deren Kulturkreis ein menschliches Leben nichts zählte und wo der Feind erst dann als besiegt galt, "wenn man zwischen den Schenkeln seiner Frauen liegt", fanden sie bereitwillige Vollstrecker. Hinzu kam die Tatsache, daß gerade die Soldaten aus dem außereuropäischen Teil der Sowjetunion zumeist unter sehr harten Bedingungen und unter der Drangsal durch Vorgesetzte und politische Kommissare ihren Frontdienst versehen mußten. Beim Einmarsch nach Deutschland wurden sie gewissermaßen von der Leine gelassen. Und diese Freiheit entlud sich in unvorstellbarer Gewalt gegenüber den Besiegten.

Der Autor reißt auch diese Sachverhalte in seinem einführenden Kapitel an. Darin setzt er den historischen Rahmen für die Dokumentation, indem er einen Überblick über das Kriegsgeschehen in Ostdeutschland und die Flucht zu Lande und über See gibt. Dabei findet er deutliche Worte über das Verhalten der Sieger, vermeidet aber jede unsachliche Schärfe oder sprachliche Entgleisung. Im Anschluß an die Erlebnisberichte schildert Schön in einem abschließenden Kapitel die Lage der Deutschen in Ostdeutschland zwischen 1945 und 1948. Diese Jahre waren von Hunger, schwerer Arbeit, Ausbeutung, Deportation und schließlich der Vertreibung aus der Heimat gekennzeichnet.

Das Buch schließt mit einem ausführlichen Quellen- und Literaturverzeichnis. Einige editorische Bemerkungen zu den abgedruckten Erlebnisberichten und Angaben zum Lagerort der im Literaturverzeichnis genannten Augenzeugenberichte wären wünschenswert gewesen, doch ver- mag dieser kleine Mangel den Wert der Dokumentation nicht zu mindern.

Dieses Buch leistet einen Beitrag zur Erhellung eines furchtbaren und noch immer unzureichend aufgearbeiteten Kapitels der deutschen Geschichte. Es sei vor allem denen zur Lektüre empfohlen, die sich eifrig bemühen, den Einmarsch der Roten Armee als "Befreiung" umzudeuten. Vielleicht werden sie dann ihre absurde Forderung, den 8. Mai als "Tag der Befreiung" zum gesetzlichen Feiertag zu erheben, noch einmal überdenken. J. Heitmann

Heinz Schön: "Im Heimatland in Feindesland. Schicksale ostdeutscher Frauen unter Russen und Polen 1945-1948", Arndt-Verlag, Kiel 1998, gebunden, 286 Seiten, 100 Abb., 20,40 Eur
 
     
     
 
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