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Wie kaum ein anderer Maler hat Lovis Corinth, der Meister aus dem ostdeutschen Tapiau, sein Leben anhand von Selbstbildnissen dokumentiert. Sein letztes schuf er im Mai 1925. "Es ist sehr eigentümlich, daß du noch ein Selbstporträt gemalt hast, denn seit Jahren war der Termin dafür dein Geburtstag, der 21. Juli", schreibt seine Frau Charlotte Berend-Corinth in ihr Tagebuch, das sie nach dem Tod Corinths in Zwiesprache mit dem Toten führte. - Der Künstler starb am 17. Juli, nur wenige Tage vor seinem 67. Geburtstag. - "Und alle Jahre, seit 1919 in Urfeld, hast du dich geärgert, daß du nicht älter aussähest, und oft gesagt, daß du dich direkt darauf freutest, wie du wohl mit siebzig Jahren aussehen würdest. Das Selbstporträt für 1925 ist also doch entstanden. Ich sehe es nicht als Zufall an ... Du hast dein Werk abgerundet ..."
An anderer Stelle schreibt Charlotte Berend-Corinth: "Dein Werk war dein Leben ..." Und je intensiver man sich mit dem Werk dieses herausragenden Künstlers befaßt, um so mehr erfährt man auch über das Leben dieses Mannes. Vor allem seine Selbstbildnisse sind es, die den Menschen Corinth zeigen. In der Auseinandersetzung mit sich selbst offenbart sich aber auch die Veränderung in seiner Kunst. Welch ein Kontrast - hier der stolze, selbstbewußt dreinschauende Fahnenträger von 1911 oder der herzhaft lachende Bacchant aus dem Jahr 1908, da der nachdenkliche, ahnungsvolle Blick von 1922 und gar erst der von 1925. Charlotte Berend-Corinth, die selbst Malerin war, hat einmal über die Selbstporträts ihres Mannes gesagt, sei seien "sehr ernste und kritische Begegungen mit dem eigenen Ich".
Neben vielen Aquarellen, Zeichnungen und druckgraphischen Blättern sind noch bis zum 6. Februar 2005 im Hubertus-Wald-Forum der Hamburger Kunsthalle etwa 30 der ursprünglich 42 gemalten Selbstbildnisse zu sehen (täglich außer montags 10 bis 18 Uhr; Katalog im Verlag Hatje / Cantz). Gleichzeitig werden noch zwei auf das Thema Selbstbildnis abgestimmte Ausstellungen gezeigt, die sich mit diesem zentralen und faszinierenden Sujet der Moderne, dem Ich, seiner Darstellung und künstlerischen Verwandlung beschäftigen: "Horst Janssen, Selbst" im Janssen-Kabinett und "gegenwärtig: Selbst, inszeniert" in der Galerie der Gegenwart. Außerdem begleitet ein umfangreiches Rahmenprogramm mit Seminaren, Vorträgen und thematischen Rundgängen die Ausstellung.
Doch zurück zu der Ausstellung "Ich, Lovis Corinth. Die Selbstbildnisse". Verehrer des Corinthschen Œuvres werden sich schnell wie zu Hause fühlen, und nach dem Rundgang bleibt das Gefühl, einen guten alten Freund besucht zu haben. Einen "Freund" allerdings, der seine Besucher fast überall hin mit den Augen verfolgt. Durch geschickt inszenierte Sichtachsen fällt der Blick des Besuchers vorbei an Säulen und durch Torbögen immer wieder auf das eine oder andere Porträt. Auf Bilder, die sich ergänzen, aber auch auf solche, die sich gegenüberstehen. Nach der Erkrankung Corinths - er erlitt 1911 einen Schlaganfall, der ihn körperlich sehr mitnahm - ist auch in seinem künstlerischen Schaffen eine Veränderung zu bemerken. Die Pinselführung ist heftiger geworden, die Motive ernster. Wenn Corinth in den frühen Porträts den Betrachter herausfordernd anblickt, so entdeckt dieser in den späten Selbstbildnissen einen kranken, einen melancholischen und zweifelnden Mann.
"Einmal der Schauspieler, der sich in andere Rollen hineindenkt, einmal der Künstler, der seine Seelenzustände und nach seinem Schlaganfall die Auflösung des Ichs bis zum Tod schonungslos erforscht", deuten Kritiker sein Schaffen. "Gleichzeitig zeigen die Selbstbildnisse Corinths auch die Entwicklung seiner Malerei, die einen Wendepunkt für die Kunst in Deutschland markiert. In vier Jahrzehnten führt er seine Malerei aus dem Realismus des 19. Jahrhunderts zu einer Selbständigkeit, mit der er traditionelle Darstellungsformen überwindet. In seinem Spätwerk ab 1912 lädt er das Motiv emotional auf, indem er es geradezu herausfordernd auflöst und statt dessen die Materie der Farbe in den Vordergrund stellt."
Leihgaben aus Museen in aller Welt ergänzen den Bestand des Hamburger Museums für die Zeit der Ausstellung. Und so sind so bekannte Selbstbildnisse wie das mit Skelett aus dem Jahr 1896 oder das mit Panamahut aus dem Jahr 1912 zu sehen. Kunstfreunde begeistern aber dürften die Blätter, die aus konservatorischen Gründen nicht oft gezeigt werden, so die Bleistiftzeichnung mit einem Selbstbildnis aus dem Jahr 1882 oder auch die Farblithographie "Bacchantenzug" von 1895.
Es gibt viel zu entdecken in dieser Hamburger Ausstellung. Beeindruckend, wenn auch sehr kurz, ein Ausschnitt aus dem Dokumentarfilm "Schaffende Hände" von 1922. Hier hat Hans Cürlis Lovis Corinth beim Malen in Berlin porträtiert, eine der wenigen Filmaufnahmen mit dem Maler. Fotografien ergänzen diesen Teil der Ausstellung, die sich in der Kunsthalle noch fortsetzt, wo Bilder von Corinth aus dem eigenen Bestand (der Ostpreuße malte im frühen 20. Jahrhundert im Auftrag des Kunsthallendirektors Alfred Lichtwark eine Reihe bedeutender Werke) gezeigt werden. Ein Fest für die Freunde seiner Kunst. Peter van Lohuizen
Lovis Corinth: Bacchantenpaar (Öl, 1908; im Besitz des Museums Georg Schäfer, Schweinfurt) Fotos (2): Museum
Selbstbildnis vor Staffelei: Dieses Bild schuf Lovis Corinth 1922; drei Jahre vor seinem Tod (Öl, im Besitz des Saarland Museums Saarbrücken)
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