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Es ist", so urteilt der Schriftsteller Botho Strauß über die geistige Beweglichkeit und die gedankliche Originalität unseres bundesdeutschen Literatentums, "als liefen alle Schiffe nur noch in den großen Hafen der Literatur und kaum eines zöge noch hinaus auf offene See". Ähnlich urteilt Ulrich Greiner , Feuilleton-Chef der "Zeit", wenn er schreibt: "Der öffentliche Diskurs gleicht einer permanenten Talkshow, wo en gros eingekaufte Meinungen meistbietend verhökert werden und im weißen Rauschen des schieren Dafürhaltens spurlos verdunsten."
Diese Beliebigkeit des Plauschens, die längst von den Bildschirmen über die Belletristik in die Gesprächskultur unseres Alltages eingekehrt ist, signalisiert jene trübe Gleichheit von Wertvorstellungen, die sie damit zugleich aufhebt: denn wenn alles gleichermaßen gültig scheint, wird es gleichgültig.
Was hier als stiller Literaturbetrieb seine blasenfreien Bahnen in vom Geist ungetrübtem Wasser zieht, kann in der Politik nicht kraftvoller perlen. Dies gilt freilich nur, wenn man eine Rangordnung von Kunst und Geist vor Politik und Tat gelten läßt. Wobei es zugegeben sehr viel leichter zu sein scheint zu sagen, was Politik ist und was Kunst. Es gab in früheren Zeiten nicht wenige Künstler, die davon träumten, daß ihre Visionen politische Dimensionen annehmen würden, was selbstverständlich auch nicht wünschbar war.
Nur müßte es verwundern, wenn es hier immer mit rechten Dingen zuginge, wenn nicht gelegentlich auch im künstlerischen Gewande die menschliche Torheit kraftvoll daherkäme. Bekanntlich eilte Anfang des Jahres der von Schuldgefühl und Bekehrungstrieb gleichermaßen angestiftete "Objektkünstler" Hans Haacke vom fernen New York in die deutsche Hauptstadt, um eine Anregung des "Kunstbeistandes" des Bundestages aufzugreifen. Er solle, so hieß es, ein (Buben-)Gegenstück zu der den Reichstag unübersehbar zierenden Inschrift "Dem Deutschen Volke" liefern.
Da zu vermuten steht, daß einige der vom Rhein zwangsweise an die Spree Gekommenen den "Objektkünstler" Haacke sofort politisch einschlägig inspirierten, kam der Meister der schönen Objektkünste auch in keine übermäßig große Verlegenheit: er ging die Sache kurzerhand eher von der praktischen Seite an. Ein satt 21 mal sieben Meter gezimmerter großer Holzbottich steht nunmehr im Lichthof des Reichstages, der von den 669 Bundestagsabgeordneten mit einem Zentner Erdreich aus deren jeweiligen Wahlkreisen aufgefüllt werden soll.
Also bayrisches Geröll zu Humus aus der Goldenen Aue, Torf aus der Wedeler Marsch zu Kalkstein aus Rüdersdorf, der ganze Aufwand erinnerte zunächst die wachsamsten unter den bundesdeutschen Zeitgenossen geradezu beängstigend an die "Blut-und-Boden-Mystik" eines nicht vergehen wollenden Jahrhunderts. Auch die Parallele zu jenem Parteitag der NSDAP, der die Einheit der Deutschen Stämme beschwor, schien gegeben. Mit tiefer Stimme wurde damals gefragt: "Kamerad, woher kommst du?" Und mit mundartlicher Tönung antworteten die also Gefragten: "Aus Drääsden", "Von der Waterkant
" Es fiel übrigens auch auf, daß Haacke den nördlichen Lichthof des Parlaments für seinen Holzbottich genutzt hatte.
Doch dem Herrn Künstler Haacke ward alsbald Entlastung, die schiefen Mutmaßungen unberatener Gegner wurden mit einem einzigen Federstrich hinweggefegt: aus seinem Bottich, der zugleich so eine Art von riesigem Komposthaufen darstellt, soll das alsbald zu erwartende Pflanzengrün erleuchtet werden von an die 1,20 Meter hohen Neonleuchtbuchstaben mit den nun endlich aufklärenden Worten "Der Bevölkerung".
Denn das war dem Haacke schon in Übersee fürchterlich ausgestoßen, als er noch seine tellergroßen Büffelsteaks kaute: Bei "Dem Deutschen Volk", noch dazu groß geschrieben, dachte er nur an "Volksgenossen", "Volkssturm" und "Volksgerichtshof". "Volksgesundheit", "Volksbildung" und "Volksgemeinschaft" sind ihm nicht eingefallen. Vielleicht leugnet er auch nur laut , weil in dieser deutschen Nation jede unerlaubte geistige Regung hart geahndet wird.
Immerhin ist sein künstlerischer Entwurf mit zwei Mehrstimmen durch den Bundestag im Reichstagsgebäude gekommen, und kein deutscher Journalist hat unter Berufung auf die garantierte Meinungsfreiheit geschrieben, daß diese Installation nicht nur ein hanebüchener Mumpitz ist, der ein gutes Stück deutscher Geschichte verzerrt, sondern auch einen grundgesetzwidrigen Akt darstellt.
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