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Stille Trauer

 
     
 
Der Krieg hatte in unserer Heimat gewütet. Das zeigte sich nicht nur an den zerstörten Städten, den leeren Dörfern und den durch Schützen- und Panzergräben verwüsteten Feldern, es zeigte sich noch krasser an den Toten, auf die wir überall stießen, als wir nach Kriegsende im Mai 1945 in unser Dorf zurückkehrten. Die Gegend war Kampfgebiet gewesen. Wir haben manches Grab geschaufelt für die toten Soldaten, die auf unseren Feldern und in der näheren Umgebung lagen, der Frühlingssonne ausgesetzt.

Ein fertiges Soldatengrab fanden wir allerdings bei unserer Rück-kehr vor. Es befand sich nicht weit von unserem Gehöft entfernt im Graben der Chaussee
, die ins Dorf führte. Ein dürftiges Holzkreuz, in Eile zusammengezimmert, zierte den Hügel. Auf dem Kreuz hing der Stahlhelm eines deutschen Soldaten. Nahm man ihn ab, so las man an der Spitze des Kreuzes das Geburts- und das Sterbejahr des Gefallenen. Sonst war nichts verzeichnet.

Einundzwanzig Jahre war dieser Mensch nur alt geworden. Dann war er gefallen. Gefallen für das Vaterland, wie es so schön hieß. So wie andere auch. Und doch war da ein Unterschied. Dieser Tote hatte sein Grab, wenn es auch außerhalb des Friedhofes lag. Vielleicht hatte ein Soldat hier einem Kameraden die letzte Ehre erwiesen mit diesem Grab. Jedenfalls war dieser Gefallene beerdigt worden, während all die anderen rundherum so liegengeblieben waren. Sie hatten dagelegen, der Verwesung preisgegeben, bis wir gekommen waren und ihnen dort, wo sie eben lagen, die letzte Ruhestätte gruben. Auch wir zierten diese Stätten mit den Helmen der Toten. Aber dann blieben diese Gräber sich selbst überlassen. Unser Kampf ums Überleben in dem verwüsteten Gebiet ohne jede Versorgung forderte alle Kräfte. Das Grab im Chausseegraben aber gab uns bald ein Rätsel auf. Denn es trug nicht lange nach unserer Heimkehr den ersten Blumenschmuck. Das stellten wir erstaunt fest. Und immer wieder bemerkten wir, wenn wir daran vorbeikamen, daß neue Blumen den Hügel zierten. Wer mochte es sein, der diesem Toten soviel Liebe entgegenbrachte? Es waren mehrere Familien in unser Dorf zurückgekehrt, aber niemand von ihnen wußte, wer der gefallene Soldat sein mochte, dessen Grab plötzlich so geschmückt wurde. Und es wußte auch niemand, wer die Blumen darauf niederlegte. Sonderbarerweise wurde auch nie jemand dort gesehen. Erst im Herbst, als die Tage kürzer wurden, entdeckten wir eines Morgens eine Frau an dem Grab. Verwundert gingen wir zu ihr und fragten sie, woher sie käme und ob es sich um das Grab eines Angehörigen handele, das sie gerade aufgesucht habe. Die Frau erzählte uns, daß sie aus der acht Kilometer entfernten Stadt komme und dies immer wieder tue, um eben dieses Grab zu schmücken. Sie erklärte dann auch, warum sie es tat. Sie war an einem Maienmorgen ganz zufällig auf dieses Soldatengrab gestoßen, als sie sich im benachbarten Wald nach Brennholz umgesehen habe. An diesem Grabenrand habe sie gerastet und so das Grab entdeckt. Sie hatte den Stahlhelm vom Kreuz genommen und ihn lange in den Händen gehalten. Als sie ihn dann wieder auf das Kreuz stülpen wollte, hatte sie das flüchtig verzeichnete Geburts- und das Sterbejahr gesehen. Diese Jahreszahlen waren mit denen ihres eigenen Sohnes identisch. Das hatte sie stark berührt. Seither zog es sie immer wieder zu diesem Grab. Die Entfernung störte sie nicht. Sie schmückte es, weil sie hoffte, daß vielleicht im fernen Osten, wo ihr einziger Sohn gefallen war, auch jemand auf sein Grab ein Blumensträußchen legen möge.
 
     
     
 
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