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Stimmenfang am Bosporus

 
     
 
Glück hat er ja immer wieder, der Herr Schröder. Vor allem immer wieder vor Wahlterminen. 2002, kurz vor der schon verloren geglaubten Bundestagswahl, kam aus nicht ganz heiterem Himmel die große Flut und spülte Stoibers Kanzlerträume hinfort. Nun fügte es Genosse Zufall, daß auf des Kanzlers Reiseplan gerade rechtzeitig vor der außerplanmäßigen Hamburg-Wahl ein Besuch bei den türkischen Freunden stand.

So ungeschickt Schröder auch mit den diversen Reformprojekte
n hantiert - wenn es um blanken rot-grünen Machterhalt geht, erweist er sich als gewiefter Taktiker. So auch jetzt in Ankara. Ein paar Tage vorher war Angela Merkel da, hatte sich bei den Gastgebern unbeliebt gemacht, weil sie ihnen Unterstützung auf dem Weg in die EU verweigerte, war dann aber leider auf halbem Wege stehengeblieben, indem sie - ganz "politisch korrekt" - das Thema für "nicht wahlkampftauglich" erklärte.

Damit war die CDU-Chefin dem Noch-SPD-Chef wieder einmal auf den Leim gegangen. Wenn der nämlich lamentiert, "sensible" Themen gehörten nicht in den Wahlkampf und nicht an die "Stammtische", dann soll solche Einschränkung natürlich nur für den politischen Gegner gelten: keilen und austeilen, aber aufpassen, daß man selber nichts einstecken muß; lieber volle Kraft voraus in jedes Fettnäpfchen trampeln, als vornehm am Rande stehen und vollgespritzt werden!

Die Union will also ganz brav das Thema "EU-Beitritt der Türkei" wenn überhaupt, so allenfalls am Rande der anstehenden Wahlkämpfe ansprechen, und dann selbstverständlich unter Beachtung der Befindlichkeiten aller nur denkbaren Strömungen nichteuropäischer, nichtchristlich/abendländischer Kulturkreise.

Derweilen langt Schröder ungeniert zu, hält sich gar nicht erst bei Stimmungen auf, sondern geht direkt auf Stimmenfang - am Bosporus. Erinnern wir uns: Das Ergebnis der Bundestagswahl 2002 war ja nicht nur der Jahrhundertflut zu danken, sondern auch Zigtausenden Stimmen von soeben eingedeutschten Türken, die genau wußten, bei wem sie sich für den Paß mit dem Bundesadler zu bedanken haben. Da kommt es den arg gerupften Hamburger Genossen gerade recht, wenn Obergenosse Gerd ein paar Tage vor der Wahl noch einmal richtig auf die Pauke haut - die in der Hansestadt lebenden "Mitbürger kleinasiatischer Herkunft" werden das Signal schon richtig deuten. Wenn s klappt, hat Hamburg dann statt des bei Einheimischen äußerst beliebten Ole von Beust einen "Bürgermeister von Allahs Gnaden".

Hamburg bildet den Auftakt einer Serie von Wahlen auf allen Ebenen, die bis 2006 - so ist zu befürchten - nahezu alle Ansätze vernünftiger Politik blockieren wird. Bis dahin wird Rot-Grün jede Gelegenheit nutzen, die stimmenträchtige türkische Karte zu ziehen. Von der Union ist nicht viel Gegenwehr zu erwarten. Im Gegenteil: Gelsenkirchens OB Wittke sieht heute schon das "friedliche Miteinander" in seiner Stadt gefährdet, sollte seine Partei, die CDU, beim Nein zum EU-Beitritt Ankaras bleiben: "Sonst fliegt uns hier der ganze Laden um die Ohren!" Solche Ängste plagen viele Kommunalpolitiker, vor allem in Ballungszentren wie Hamburg, Berlin, Frankfurt/Main oder Köln. Diese bittere Erkenntnis dürfte auch Frau Merkel zu ihrem "Nein, aber ..." bewogen haben. So könnte das Kalkül von Schröder, Fischer & Co. aufgehen. Sie können auf die überwältigende Mehrheit der deutsch-türkischen Stimmen zählen - und wohl auch darauf, daß die nicht türkischstämmigen Wahlberechtigten sich bis 2006 an die Deutschland drohenden Belastungen (über fünf Millionen Zuwanderer, über drei Milliarden Euro jährliche Kosten) gewöhnt haben werden. So bleibt uns nur eine Hoffnung: daß Schröder gegenüber der Türkei in Sachen EU seiner Linie treu bleibt - alles leere Versprechungen.
 
     
     
 
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