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Nach dem Desaster bei der Bahnreform steht der Bundesregierung neuer Ärger ins Haus. Denn wie sich immer deutlicher abzeichnet, droht der Wohnungswirtschaft in den mitteldeutschen Ländern der Kollaps. Ohne öffentliche Finanzspritzen in Milliardenhöhe wird insbesondere die kommunale Wohnungspolitik zusammenbrechen.
Die Situation scheint absurd. Seit 1990 wurden circa 800 000 Wohnungen neu gebaut. Jetzt sollen dagegen mehrere hundertausend Wohnungen möglichst schnell abgerissen werden. Grund hierfür ist der riesige Leerstand an Wohnraum. Nicht weniger als rund eine Million Wohnungen zwischen Rügen und dem Erzgebirge werden bereits nicht mehr bewohnt. Weitere hunderttausend könnten in den nächsten drei Jahren hinzukommen. Der daraus resultierende Mietausfall von mehreren Milliarden Mark im Jahr könnte zahlreiche der etwa 1300 Wohnungsgenossenschaften und kommunalen Wohnungsbaugesellschaften an den Rand der Wirtschaftlichkeit und somit in die Zahlungsunfähigkeit treiben. Bei einigen Wohnungsunternehmen beträgt der Leerstand inzwischen über 30 Prozent.
Es sind vor allem die weiter laufenden Betriebskosten für die leerstehenden Wohneinheiten, die den Hauseigentümern und der Politik Sorge bereiten. Das Marktgleichgewicht auf dem Wohnungssektor ist inzwischen völlig aus den Fugen geraten. Auch bei sanierten Objekten in guter Lage läßt sich in solcher Situation kaum mehr als fünf Mark Kaltmiete, bezogen auf den Quadratmeter, erzielen. Die Kosten für Rücklagen und notwendige Instandhaltungsmaßnahmen werden unter diesen Umständen durch die Mieteinnahmen nicht mehr abgedeckt. Wohneigentum wird damit zum Risiko für die Unternehmen.
Seit der Wiedervereinigung wurden mehr als 100 Milliarden Mark in den Bau und die Sanierung von Wohnungen investiert. Aufgrund des rasanten wirtschaftlichen Strukturwandels, der Abwanderung nach Westdeutschland und der weltweit niedrigsten Geburtenrate entvölkern sich jedoch allmählich ganze Landstriche. Die Situation hat sich inzwischen derart zugespitzt, daß nach Ansicht von Experten in den nächsten drei bis fünf Jahren mindestens 400 000 bis 500 000 Wohnungen abgerissen werden müssen, um einen Kollaps der Wohnungswirtschaft zu verhindern. Der Abriß kompletter Siedlungen wird inzwischen nicht nur offen diskutiert, sondern von kommunalen Wohnungsverbänden wie dem sächsischen Wohnungsverband laut eingefordert. Allein in Sachsen, so schätzt man im Dresdner Innenministerium, werden in den kommenden drei Jahren 500 000 Wohnungen verschwinden. Bei kalkulierten Abrißkosten von 100 Mark pro Quadratmeter hat das Innenministerium allein für den Freistaat rund 280 Millionen Mark ermittelt. Nach Auskunft der Geschäftsführerin der Wohnungsgesellschaft Hoyerswerda, Margitta Faßl, kostet der "Rückbau" allerdings bis zu 300 Mark auf den Quadratmeter, abhängig von der zur Anwendung kommenden Abrißtechnologie.
Experten kalkulieren mit elf Milliarden Mark "Rückbaukosten", um den Wohnungsüberhang in den mitteldeutschen Ländern zu beseitigen und das Verhältnis von Angebot und Nachfrage zu stabilisieren. Ohne umfassende staatliche Unterstützung sei ein Marktgleichgewicht nicht herzustellen. Eingefordert wird deshalb ein "Standortsicherungsprogramm Ost", da der Staat durch umfangreiche Steuervergünstigungen für Neubauten und bei der Altbausanierung einen guten Teil der heutigen Leerstände selbst gefördert und verursacht habe.
Darüber hinaus lasten auf den Wohnbeständen riesige Altschulden. Selbst wenn ein Gebäude abgerissen wird, bleiben diese Schulden bestehen. Ganz besonders problematisch sind dabei Wohnungen, die treuhänderisch für "Alteigentümer" gehalten werden. Diese Rückgabeansprüche auf nicht selten marode Immobilien werden mittlerweile immer häufiger zurückgezogen. Von etwa 700 000 Wohnungen, auf die Rückgabeansprüche geltend gemacht worden sind, sollen etwa 150 000 bei den Unternehmen verblieben sein. Noch über 100 000 Ansprüche sind immer noch nicht geklärt. Von 1993 an müssen die Wohnungsgesellschaften für solche Wohnungen bis zu 250 Mark je Quadratmeter auf Altschulden an den Erblastentilgungsfonds zahlen. Die finanziellen Nöte der kommunalen Wohnungsunternehmen treffen die zum Teil hoch verschuldeten Haushalte der Städte und Gemeinden daher empfindlich. Wenn diese in Konkurs gehen müßten, dann, so argumentiert man nicht nur im sächsischen Innenministerium, würde dies die Zerstörung des gesamten Wohnungsmarktes bewirken. Felix Kilian
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