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Mit dem Wort "Skandal" muß man vorsichtig umgehen. Doch was der ehemalige Generalsekretär des Weltkirchenrates, Konrad Raiser, auf dem Deutschen Pfarrertag Ende September in Magdeburg über Evangelikale sagte, erfüllt die Voraussetzungen für den Begriff. Er bezeichnete diese theologisch konservativen Protestanten als nicht minder gefährlich wie militante Islamisten. Wo, Herr Raiser, so möchte man fragen, sind aber die Evangelikalen, die Flugzeuge entführen, Bombenattentate durchführen oder Geiseln hinrichten? Nicht minder skandalös ist es, daß in der Aussprache kein Pfarrer den Mut hatte, Raisers Aussage zu widersprechen, obwohl Evangelikale auch in den Landeskirchen ihr Zuhause haben, Kirchensteuern zahlen und wesentliche Teile der diakonischen und missionarischen Arbeit leisten.
Sieht man von Raisers Entgleisung ab, blieb der vom "Verband der Vereine evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer in Deutschland" ausgerichtete Pfarrertag unter dem Thema "Der reformatorische Auftrag und die neue Weltordnung " merkwürdig konturlos. Sicher leistet Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD), die neben Raiser als Hauptrednerin eingeladen war, anerkannte Arbeit. Doch ist sie die geeignete Person, um über den reformatorischen Auftrag der Kirchen zu reden?
Die Ausführungen der Ministerin waren zweifellos interessant, nur dienten sie kaum der christlichen Profilbildung. Lediglich zweimal gab es in ihrer Rede kirchliche Bezüge: als sie erwähnte, daß sie vor Jahren Synodenmitglied der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau gewesen sei, und als sie bekräftigte, daß die Kirchen Partei für die Armen der Welt nehmen sollten.
Als vor zwei Jahren der Pfarrertag in Kiel stattfand, standen folgende Sätze in idea: "Kommen Mediziner zu einem Jahrestreffen zusammen, sprechen sie gewöhnlich über Vorsorge, Operationen und Nachbehandlungen. Treffen sich Juristen, tauschen sie sich über die neuesten Gesetze aus. Der diesjährige Pfarrerinnen- und Pfarrertag hingegen diskutierte nicht etwa über gute Verkündigung, Mission oder Seelsorge."
Das Urteil "Thema verfehlt" läßt sich nach dem Magdeburger Treffen wiederholen. Fast als prophetisch erwies sich das Grußwort von Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU).
Mit Blick auf das Tagungsthema sagte er: "Ich habe den Verdacht, Sie haben sich mehr vorgenommen, als Sie durchführen werden." Tatsächlich wurde vor allem über die neue Weltordnung gesprochen, der reformatorische Auftrag ging inmitten der Diskussionen über Armutsbekämpfung, Bevölkerungswachstum und erneuerbare Energien verloren.
Nun darf sich die Kirche selbst-verständlich auch zu solchen Themen äußern, aber es verwundert schon, daß die Pfarrer sich bevorzugt den Problemen anderer zuwenden und ihre eigenen ignorieren. Es sei an der Zeit, damit aufzuhören, sich die Tagesordnung von den ständig abnehmenden Mitgliederzahlen und sinkenden Kirchensteuerzahlen bestimmen zu lassen, sagte der Vorsitzende des Pfarrerverbandes, Klaus Weber. Das erinnert ein wenig an die Aussage, daß die Titanic unsinkbar sei. Noch ist die evangelische Kirche ein imposanter Tanker, aber von Jahr zu Jahr wird ihre Schieflage deutlicher. Wäre es nicht an der Zeit, beim Pfarrertag über die Zukunft der Kirche zu sprechen? Was ist ihr Kernauftrag, und worauf wird sie in Zukunft verzichten müssen? Und vor allem: Wie können heute Menschen für Jesus Christus gewonnen werden? Das sind Themen, die man sich von einem Pfarrertag wünscht.
Magdeburg war der ideale Tagungsort, um den Teilnehmern vor Augen zu führen, daß die Kirche der Zukunft sich wohl in einer Minderheitenrolle wiederfinden wird. Nur gerade einmal 8,4 Prozent der 230.000 Magdeburger gehören der evangelischen Kirche an, 1,6 Prozent der katholischen. In einem Grußwort lieferte der parteilose Bürgermeister Bernhard Czogalla unfreiwillig einen weiteren Beleg für die Lage der Protestanten. Als Martin Luther im Juni 1524 in Magdeburgs Marktkirche St. Johannis über wahre und falsche Gerechtigkeit predigte, so berichtete Czogalla, mußten Fenster und Türen geöffnet werden, damit auch Leute, die vor der überfüllten Kirche standen, den Reformator hören konnten.
Statt Predigten finden heute in der Kirche Ausstellungen und Konzerte statt; im letzten Herbst luden Magdeburger Kirchengemeinden Juden, Moslems und Buddhisten zum "Fest der Religionen". Mit dem Fest, so hieß es, solle Interesse für fremde Weltanschauungen geweckt werden. Eine Kirche, die so denkt, braucht nicht einmal mehr einen Eisberg zum Zerschellen. Sie macht sich selbst überflüssig.
Viele kleine Signale, die der Pfar-rertag aussandte, stimmen nach-denklich. Da war der düster-steife Eröffnungsgottesdienst im Magdeburger Dom, der mit ernster Verbissenheit abgearbeitet wurde und eher an eine Trauerfeier als an ein Freudenfest erinnerte. "Gott setzt seinen Plan mit Angepaßten und Mutigen durch, und vielleicht un-terscheidet beide gar nicht so viel voneinander", sagte Axel Noack, Bischof der Kirchenprovinz Sachsen, in seiner Predigt über Jeremia 29,1-14. "Selbst mit ganz schwachen Pfarrern kann Gott sein Reich bauen." Sätze, die einen ratlos zurücklassen. Ist es denn egal, ob man mutig oder angepaßt seinen Weg zieht?
Der reformatorische Auftrag, wo war er beim Pfarrertag? Raiser mahnte zu Buße und Umkehr, meinte damit aber nicht den einzelnen Menschen, sondern die Abkehr von der "neoliberalen Weltwirtschaftsordnung". Einen weiteren Versuch, den reformatorischen Auftrag auszumachen, unternahm Pfarrverbandsvorsitzender Weber. Als Botschaft solle vom Pfarrertag ausgehen, daß die Pfarrer die Menschen in ihren Sorgen nicht alleinlassen, sondern ihrem Leben bleibenden Wert geben, sagte er. War es ein Zufall, daß während des gesamten Pfarrertages von Jesus kaum die Rede war?
"Ich hoffe, bei Ihnen ist weniger Orientierungslosigkeit als bei anderen", sagte Ministerpräsident Böhmer im erwähnten Grußwort. Wer den Pfarrertag verfolgte, konnte sich dessen nicht so sicher sein.
(Mit freundlicher Genehmigung der evangelischen Nachrichtenagentur idea)
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