|
Historisch ist "Die Geliebte des Diktators" zwar an vielen Stellen nicht haltbar, doch fesselnd ist der Roman von Lily Tuck allemal. Die Autorin, als Tochter deutscher Emigranten 1938 in Paris geboren, hat ihre Kindheit in Peru und Uruguay verbracht, wo sie vermutlich erstmals von Eliza Lynch gehört hat. Eliza, beziehungsweise Ella, war gebürtige Irin, heiratete, noch halb ein Kind, einen 40jährigen französischen Offizier, den sie jedoch bald verließ.
Wohl als eine Art Mätresse begüterter Herren, die Autorin läßt den Leser hier im Dunkeln, schlägt sich die schöne Irin in Paris durch. In der französischen Hauptstadt lernt sie 1854 den Südamerikaner Franco kennen, der für seinen Vater, den reichen Diktator von Paraguay, in Europa weilt, um Waffen zu kaufen. Außer den Waffen nimmt er auch Ella mit in seine Heimat.
Lily Tuck schreibt viel aus der Perspektive von Ella, die offenbar emotional mehr an ihrem Pferd Mathilde hängt als an Franco. Von Franco bekommt sie allerdings Geld und fünf Kinder. Die Frage, was den Südamerikaner trotz weiterer Geliebter neben Ella bis zu seinem Tod 1870 an die Europäerin band, die er nie ehelichte, kann Tuck nicht verständlich machen. Da die Beziehung des ungewöhnlichen Paares zueinander im Dunkeln liegt, konzentriert sich die Autorin darauf, das gesellschaftliche Leben in Paraguay, die Beziehung Francos zu seiner Familie und die Probleme im Land zu schildern.
Während ihr das gut gelingt, kann sie leider nicht deutlich machen, wie genau es 1864 zum Krieg Paraguays mit Brasilien und Argentinien kam. Der Leser muß sich auf die in den Roman eingebauten Teilinformationen selber einen Reim machen. Dies erschwert die Einordnung, inwieweit Francos Handeln gerechtfertigt war. Statt dessen wird angeführt, wen der Diktator festnehmen, foltern und töten ließ. Wie Ella darauf reagierte, übergeht Lily Tuck größtenteils.
"Die Geliebte des Diktators" ist ein atmosphärisch dichter Roman, der aber für jene, die mehr über die Biographie von Ella Lynch wissen wollen, viel zu viele Fragen offen läßt. Auch über den weiteren Lebensweg der Irin nach dem Tod Francos, gibt Tuck dem Leser mehrere Varianten an die Hand, ohne darauf hinzuweisen, was wissenschaftlich nachweisbar ist.
Lily Tuck: "Die Geliebte des Diktators", Insel, Frankfurt / M. 2006, geb., 331 Seiten, 19 |
|