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Noch immer ist umstritten, ob die vielen Oppositionsgruppen, die Bürgerbewegungen der DDR oder die späteren Massendemonstrationen es waren, die als Wegbereiter der deutschen Einheit zu sehen sind. In seinem Bemühen um diese Wahrheit wertete Christof Geisel, Autor des sehr interessanten Buches "Auf der Suche nach einem dritten Weg", alle Unterlagen aus und verschickte einen Fragebogen an über 350 Oppositionsführer, die nicht erst im Herbst 1989 in Erscheinung traten, sondern schon lange Zeit zuvor.
Danach hatte bereits Mitte der 80er Jahre die DDR-Bevölkerung jegliches Vertrauen in die SED verloren. Das Ziel der Opposition bestand damals in der Überwindung konkreter Mißstände und des täglichen Unrechts, einen allgemeinen Wandel indes sah sie nur in Form einer Reform des Bestehenden - ein Sturz des Regimes war auch für sie nicht vorstellbar. Sie strebte einen "dritten Weg" an, die Vision von einer gerechteren, freiheitlichen, solidarischen Welt. Die Proteste gegen die gefälschten Kommunalwahlen im Mai 89 waren ein erstes Wetterleuchten und ließen an der Allmacht der SED zweifeln. Dennoch gab es bis zum Fall der Berliner Mauer bei der Opposition keinen definitiven Bruch mit dem sozialistischen System. Die notorischen Versorgungsmängel wurden von ihr kaum als wichtig erachtet; dies stand im krassen Gegensatz zur allgemeinen Ansicht, die sie grob verkannte, wie sie die große Ausreisewelle seltsam unberührt ließ.
Der Westteil Deutschlands war für sie nicht das Land der Träume: Nach den ausgefüllten Fragebogen zeigte fast die Hälfte der Befragten kritisches Interesse, jeder Fünfte immerhin Verbundenheit, ein größerer Prozentsatz aber Distanz und Skepsis. Die allzuoft liebedienerischen Avancen bundesdeutscher Politiker und Wirtschaftsführer bei Honecker wurden durchweg verachtet, der westdeutschen Bevölkerung warf man in Bezug auf die DDR Gleichgültigkeit vor.
Das spätere Scheitern der Oppositionsgruppen beruhte nach gewiß zutreffender Ansicht des Autors schon auf ihrem Glauben an die bloße Reformierbarkeit der SED-Diktatur. Eine Agenda für eine Neugestaltung des Landes hatten sie nicht einmal theoretisch erwogen. Ebenfalls im Gegensatz zur eigenen Bevölkerung zeigten sie beim Fall der Berliner Mauer nur wenig euphorische Reaktionen - und damit war ihre historische Rolle auch beendet. Aus der Pioniertätigkeit der kleinen - im Westen lange unterschätzten - Oppositions-Zirkeln bildete sich die Bürgerbewegung. Ohne ihr "Neues Forum", ihren "Demokratischen Aufbruch" oder "Demokratie jetzt" wäre die Mehrheit der DDR-Bevölkerung kaum zu jenen Massendemonstrationen zu bewegen gewesen - die schließlich das Regime zum Einsturz brachten.
Christof Geisel: "Auf der Suche nach einem dritten Weg", Links Verlag, Berlin 2005, 331 Seiten, 24,90 Euro 5533 |
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