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Der Politikwissenschaftler Ar-nulf Baring zieht in der "Welt" Jahresbilanz zur Großen Koaliti-on und hadert mit dem koalitionären Unverstand:
"Heute kann man sagen, daß die Sozialdemokratisierung der CDU auf Kosten der rechten Mitte vonstatten ging. In beiden Parteien fehlen starke Politiker, also trudeln sie so dahin. Schröders Memoiren machen deutlich, wie wenig die Sozialde-mokraten begriffen haben, daß man mit sozialstaatlichen Methoden der alten Republik nicht weiterkommt. Ich verzweifle, weil die CDU dies offenbar noch weniger zu verstehen scheint."
FDP-Chef Guido Westerwelle fordert im "Focus" vom 13. November, daß wir statt der Unterschicht- eine Mittelschicht-Debatte führen sollten, denn ...
"... die vielen ganz normalen, fleißigen Arbeiter und Angestellten, die kleinen Handwerker sind die Gekniffenen in unserer Republik. Die jeden Morgen aufstehen und nicht liegen bleiben, die hart arbeiten und trotzdem abends kein Auskommen haben und vom sozialen Abstieg bedroht sind. Sie halten unsere Gesellschaft zusammen, finanzieren den Sozialstaat. Minister Steinbrück sagt denen: Dann fahrt halt nicht in Urlaub."
Altkanzler Helmut Schmidt konstatierte auf der Herbsttagung der Evangelischen Akademie am 11. November in Tutzing zum deutschen Wohlfahrtsstaat:
"Dieser ist die größte kulturelle Leistung, die wir zustandegebracht haben. Sofern wir ihn nicht schrittweise anpassen und umbauen, so könnte er - aber dann auch die Stabilität der Demokratie - verfallen. Man darf sich nicht von kurzfristigen Stimmungen, Meinungsumfragen und Landtagswahlen irritieren lassen."
Die "Berner Zeitung" vom 11. November wirft einen besorgten Blick auf den großen Nachbarn im Norden:
"Nach einem Jahr Großer Koalition sind die Deutschen so unzufrieden mit ihrer Demokratie wie noch nie ... Wenn die Bundeskanzlerin darüber spricht, was die Reformen bringen, dann wirkt das so blaß wie ihre überschminkten Sommersprossen. Menschliche Politik sieht anders aus. Mutige auch."
Marionettentheater
Richter sprachen wohlbedächtig fern am Tigris das Verdikt - selbst der Zeitpunkt paßte prächtig, wie sich s für Befreite schickt.
Trotzdem kam zwei Tage später - und nicht minder epochal - für den Schorsch und andre Täter ein Debakel bei der Wahl!
Doch wär Schadenfreude dämlich: Wie man s drehn und wenden mag, gibt s für manche Leute nämlich weder Nürnberg noch Den Haag.
Und so sehr bei Wählerscharen vorher stets man Hoffnung schürt, läßt das Resultat die wahren Strippenzieher unberührt.
Gonzalo de Braganza |
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