|
Wenn ich am ersten Weihnachtstag über den Zaun kletterte und hinab auf Nachbars abgeernteten, aber nun verschneiten Kartoffelacker sprang und ihrem Ziegelwohnhaus zustrebte, dann sah ich schon vor der hölzernen Veranda, was der Weihnachtsmann Alfred und Georg gebracht hatte. Irgendein billiges Blechspielzeug war es damals in Mohrungen, ein Klettermaxe oder ein Blechauto, das man ankurbeln konnte. Die Feder schaute bereits überdreht aus dem Aufziehteil des Spielzeuges, und auch der Klettermax kletterte nicht mehr.
Alfred und Georg hatten zwei ältere Schwestern und noch einen jüngeren Bruder, die ja auch zu Weihnachten beschenkt werden wollten. Da mußten sich die Eltern schon nach billigen Dingen umschauen, zumal der Ernährer der Familie zwar bei der Bahn beschäftigt war, aber nicht in einer Reichsbahndirektion etwas zu sagen hatte, sondern lediglich einen Aufzug mit Steinkohle vollzuschaufeln hatte, der dann in den Tender einer Dampf lokomotive gekippt wurde.
Bei allem Hin und Her - es war eine wichtige und notwendige Tätigkeit zu jener Zeit, da es noch wenige elektrische Lokomotiven und keine Dieselloks gab.
Wenn ich also in das Wohn- und Schlafzimmer des roten Ziegelhauses trat, brauchte ich Alfred und Georg gar nicht mehr zu fragen, was ihnen der Weihnachtsmann gebracht hatte. Sie aber überfielen mich gleich mit der Frage: "Was haste denn gekriegt?" Und ich zählte bereitwillig auf: "Einen Kolonnenwagen mit Reichswehrkutscher und zwei braunen Pferden davor, zwölf Infanteristen mit und ohne Tornister und geschulterten Gewehren und Hauptmann zu Pferde, einen neuen Bleyle-Pullover, dicke Socken und einen bunten Teller mit Konfekt und auch einigen, wo ne halbe Walnuß drauf ist, einen Apfel und eine Apfelsine und ein Päck-chen mit süßen Feigen, Sternchen und Schokoladenherzen und natürlich Wal- und Haselnüssen."
Ich sah, wie Alfred und Georg schluckten und ihre Schwester Gertrud mich gnietschig schubste. Erst Jahre später, als ich hinter Stacheldraht saß und unter einer mit Papiersternen und mit Hindenburglichtern versehenen Uralkiefer bekannten weihnachtlichen Melodien hinterherlauschte und ein Stück Streuselkuchen mümmelte, das die Köche aus Produkten, die sie vor den Feiertagen von der täglichen Normalverpflegung abgezweigt und gebacken hatten, schämte ich mich meiner damaligen Tolpatschigkeit und Taktlosigkeit gegenüber den Nachbarbowkes und -marjellens.
Als ich dann in eine Gegend heimkehrte, die ich vorher nie gesehen hatte, mußte ich an Mutters Worte denken, wenn sie stolz bemerkte, daß ich meine Spielsachen schonend behandelte: "Das machst du recht, mein Sohn. Eines Tages werden deine Kinder damit spielen."
Pustekuchen! Dazu ist es nie gekommen, obwohl ich Söhne, Töchter und Enkel habe. Als meine Eltern Ostdeutschland den Rücken kehren mußten, haben sie wichtigere Dinge geschultert als Linolsoldaten. Kann auch sein, daß Mutter wie 1914 gedacht hat, als sie schon einmal mit Opa und Oma und nur mit Handtasche und kleinem Koffer bis Elbing Reißaus genommen hatte: Eines Tages kehren wir zurück.
Nichts da! Es blieb bei einer Dachkammer mit einem Eisenbettgestell und einem alten Schrank, dessen Tür beim Öffnen und Schließen fürchterlich quietschte. Selbst das Grab der Mutter in Sachsen-Anhalt am Westufer der Elbe gibt es schon seit Jahren nicht mehr. |
|