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Laut einer Meinungsumfrage von „CSA-Opinion“, die Mitte August von der linken Tageszeitung „Libération“ veröffentlicht wurde, befürworten 46 Prozent der Franzosen die Unabhängigkeit Korsikas. Allerdings wären unter den Korsen nur 14 Prozent für eine solche Lösung der „Insel der Schönheit“ vom Festland. Über die Frage einer möglichen Amnestie für diejenigen, die die korsischen Nationalisten „die politischen Gefangenen “ nennen, antworten die Befragten in ganz Frankreich entschieden, daß sie gegen eine solche Amnestie sind. Darunter muß man verstehen, daß die Gruppierungen, die sich Anfang August in der korsischen Stadt Corte versammelt hatten, einstimmig eine Amnestie aller Gefangenen unabhängig von ihrer Straftat fordern.
Auf jeden Fall scheint im Hotel Matignon, dem Sitz des Regierungschefs, eine große Verlegenheit zu herrschen, da Lionel Jospin und seine Berater bei der Unterzeichnung eines Rahmenabkommens mit den Abgeordneten der korsischen Regionalversammlung darauf verzichtet hatten, eine klare Absage der Nationalisten auf die Gewaltanwendung zu erlangen. Die kürzliche Ermordung eines der Nationalistenführer, François Santoni, in Korsika und die steigende Zahl von Terrorakten seit Beginn des Jahres lassen vermuten, daß Jospin möglicherweise mit der Annahme des Gesetzes „zur Zukunft Korsikas“ vor der Präsidentschaftswahl nicht rechnen dürfte. Selbst Mitglieder der liberalen Opposition wie Edouard Balladur oder Altpräsident Valéry Giscard d’Estaing, die die Anstrengungen des gegenwärtigen Premierministers unterstützten, verschweigen derzeit ihr Mißbehagen nicht. Das Gesetz, dem die Nationalversammlung in erster Lesung zugestimmt hatte, wird voraussichtlich Ende des Jahres vom Senat beraten werden und sollte im März 2002 in zweiter Lesung von der Nationalversammlung noch einmal geprüft und angenommen werden.
Hinter dem Problem „Korsika“ versteckt sich für die französischen Staatsbehörden auch dasjenige der Dezentralisierung. Seit dem ersten napoleonischen Kaiserreich fungiert das französische Staatsgebilde in einer höchst zentralisierten Weise. Staatspräsident François Mitterrand und sein Innenminister Gaston Deferre hatten versucht, das Schicksal der Region zu verbessern. Mit Lionel Jospin würde man nach Ansicht von Beobachtern einer Rezentralisierung Frankreichs beiwohnen. In diesem Zusammenhang gab die konservative „Figaro“ das Wort dem Präsidenten des Regionalrates der Bretagne, Josselin de Rohan, einem Mitglied des Hochadels und zugleich des Senats (RPR), der natürlich die Politik Jospins in bezug auf Korsika brandmarkt, der aber zu bedenken gibt, daß die Führung der Regionen unter Jospin von der Regierung und der Pariser Verwaltung gezähmt und gezügelt war; Reformen sind nötig.
Zugunsten eines föderalen Frankreichs werden sich kleinere Regierungsparteien, die etwa in der Bretagne, im Elsaß oder auch in Savoyen tätig sind, im selben Corte Ende August treffen. Abgesehen vom Föderalismus als Hauptprogrammpunkt haben diese Pareien jedoch zumeist keine anderen Anliegen. Sie sind ansonsten eher kulturell geprägte Gruppen, die sich vom europäischen Aufbau erhoffen, daß die französischen Regionen sich allmählich von der Pariser Vormundschaft befreien. Verfassungsmäßig wünschen diese Föderalisten, daß Frankreich sich vom spanischen oder auch vom schottischen Beispiel inspirieren läßt. Insgesamt befürworten sie „ein Europa mit hundert Fahnen“. P. C.
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