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Wie ein Voyeur dabei

 
     
 
Fest umschlingt sie einen, die Leere und Einsamkeit des Lebens. Obwohl sie ein negatives Gefühl vermittelt, gelingt es der Autorin Jette Kaarsböl, den Leser an sich zu binden. Dabei ist die äußere Handlung von „Das Versprechen der Ehe“ schnell erzählt.

1933 entdeckt ein Küchenmädchen in Kopenhagen, daß die alte Dame am Fenster des Nachbarhauses schon seit Tagen in der selben Position am Fenster sitzt. Der herbeigeholte Hausmeister stellt fest, daß die alte Dame tot ist. Die als übellaunig und verkniffen geltende Frederikke Faber ist eines natürlichen Todes gestorben, trotzdem wird der Fall so erzählt, daß der Leser von Neugier getrieben wissen will: Wer war diese vermögende Alte?

Die dänische Autorin, die für ihren Debütroman in ihrem Heimatland mehrfach ausgezeichnet worden ist, wechselt in ihrem Roman die Erzählzeiten. Chronologisch berichtet sie über die Ereignisse im Leben der Verstorbenen von 1875 bis zum Eklat 1883 sowie ihrem letzten Lebensjahr.

1875 soll die Bürgerstochter Frederikke Leuchenbach mit dem jungen Pfarrer Christian Holm verheiratet werden. Die unerfahrene 21jährige empfindet nur Abneigung für den betulichen Verlobten. „Der Blinde legt einen tröstenden, väterlichen Arm um die Stumme“, so Kaarsböl, die beschreibt, wie Frederikke versucht, ihren Kummer zu verbergen, und Christian Holm dies als schüchterne Verliebtheit wertet.

Wie ein Wunder bietet sich Frederikke ein Fluchtweg aus der drohenden Verbindung. Frederik Faber, ein junger unverheirateter Arzt, will sie vor einer Ehe mit dem reaktionär
en Pfarrer retten. Da er, wenn er verheiratet ist, bessere Chancen auf eine Beförderung hat, macht er dem unbedarften Mädchen einen Heiratsantrag, den die in den charismatischen Liberalen Verliebte sofort annimmt. Was Frederikke jedoch nicht weiß, der Leser der Gegenwart aber ahnt, ist die Tatsache, daß Frederik homosexuell ist. Und während der Freundeskreis um ihren Mann ständig über die Emanzipation der Frau redet und Frederik sich als Befreier Frederikkes fühlt, merkt die Dänin langsam, was um sie herum passiert, denn was soll sie mit ihrer Freiheit anfangen? Unendlich langsam vergehen ihre inhaltslosen Tage, während ihr Mann von einem beruflichen und gesellschaftlichen Termin zum nächsten eilt. Liebe, Zärtlichkeit und eigene Kinder sind für sie verschlossen. Überall ersticken die bürgrlichen Konventionen ihren Lebensdrang.

Die schöne Naive verzweifelt, fühlt sich wie im Gefängnis. „Menschen wie du begehen keinen Selbstmord. Sie werden nur boshaft!“, entgegnet ihr Gatte auf Frederikkes Selbstmordgedanken. „,Seht ihr so aus, ihr Männer des Fortschritts?‘ spuckt Frederikke ihnen hinterher. ,Essen, trinken … reden, reden, reden – während eure Ehefrauen daheim sitzen und verdorren.‘“

Die bildhafte Sprache der Autorin, ihre Art, Gefühle und Ängste selbst ihrer Nebencharaktäre detailliert und faßbar zu machen, besticht. Da sie als Erzähler den Leser immer wieder direkt anspricht, seine Verwunderung über die damaligen Gegebenheiten anspricht, entsteht der Eindruck, daß man als Voyeur das Leben Frederikkes betrachtet. Das mag moralisch zwar verwerflich sein, gibt dem Roman aber einen ganz besonderen Reiz. Am Ende der Geschichte ist keiner unschuldig – auch der Leser nicht.

Wer die Atmosphäre aus Werken wie Fontanes „Effi Briest“ oder Thomas Manns „Die Buddenbrooks“ mag, wird Kaarsöls „Das Versprechen der Ehe“ lieben. Fritz Hegelmann

Jette Kaarsböl: „Das Versprechen der Ehe“, Piper Nordiska, München 2006, geb., 558 Seiten, 22,90 Euro 5583
 
     
     
 
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