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Noch vor Wochen hatte über dem weitgestreckten Land der Sommer geglüht. In der stillen Mittagszeit zitterte die weiße Sonnenglut im regungslos stehenden Korn. Selbst die bebenden Kehlen der gefiederten Sänger hatten sich um diese Zeit Abstinenz auferlegt. Das Land lag nun so still und einsam da, als hätte noch niemals eines Menschen Fuß es betreten. Erst wenn die Abendkühle über Felder und Wiesen strich, regte sich aufs neue das Leben. Verhaltenes tausendfaches Geräusch begleitete nun den Ausklang des vollbrachten Tages.
Jetzt aber lag das Land in völliger Erschöpfung da, und in wildem Atem. Es verlangte nun nach Ruhe, verlangte nach erquickendem Winterschlaf. Geäst für Geäst entledigte sich daher in Eile seiner buntgefärbten Last. Aber auch die gefiederten Sänger verspürten nunmehr eine sichtliche Ungastlichkeit. Mit spitzgestellten Schwin- gen trieben die Vögel verstört im Wind.
Schneller und immer schneller sank die Sonne allabendlich dem rotgefärbten Horizont entgegen. Eines Morgens begrüßte sogar schon zarter Glitzerhauch den neuen Tag. Leise verklang damit das allerletzte Blühen. Der Spätherbst war eingekehrt! Gleichzeitig übernahm der Himmel ein seltsames Farbenspiel. Tagsüber schien er wie mit Pastell gemalt. Je weiter die Tageszeiten fortschritten, desto derber wurde die Farbintensität - fast hin bis zum drohenden Rot. Feuchtigkeit verlieh dem Abend ab und an etwas Gespenstisches. Gedämpfte Geräusche durchdrangen von hier und von dort kommend das dunstige Grau. Ihre Schallquellen jedoch blieben jeglichen Blicken verborgen. Wie aus aufgelöster Materie, so schwebten die gedämpften Laute heran ... Anfang Dezember schlug das Wetter plötzlich um. Die Kälte wurde härter. Das weite Land streckte sich nun wie in Todesstarre. Dieses hielt viele Tage an. Doch dann zeigte ein gnädiger Himmel Erbarmen. Aus Richtung Nordwest zogen dunkle Wolkenbänke heran, schwer und überreich beladen. Schon am frühen Nachmittag schütteten sie ihre mitgeführte Last auf die Erde. Und bereits in den Abendstunden trug das weite Land eine weiße und schützende Hülle. Auch am nächsten und sogar noch am übernächsten Tag fiel der Schnee in dichten Flocken. Dann aber fand auch dieses ein rasches Ende. Wie blankgefegt wölbte sich nun der blaue Himmel über allem. Nur hier und dort segelten über die weitgespannte Einsamkeit weiße Wolkenschiffe dahin. Wie warmer Atem in bittere Kälte gehaucht, so boten sie sich dem staunenden Auge dar.
Und wieder fiel gegen Abend eine gnadenlose Kälte über das Land. Jedoch die darauffolgenden Nächte waren von furchtbarer Schönheit: blauschwarz dunkelte der Zenit, über den sich majestätisch die Gestirne drehten. Aber gleich diesen froststarrenden Winternächten, so kalt und abweisend blickten auch die Sterne. Wie böse Blicke, so lugten sie aus dem Himmel heraus. Doch hatte man einen wärmenden Ofen im Rücken und das schützende Fensterglas vor der Nase, dann sah man auch manch vergnügliches Zwinkern, welches die Gestirne den Menschen gönnten.
Mit gelblichem Gesicht erstieg in dieser Nacht auch der volle Mond die Himmelsleiter. Sein fahles Licht zeichnete gespenstische Schatten auf die Erde. Erschreckte damit sogar den Fuchs, der auf leisen Sohlen durch den Schnee schnürte. Die Kälte, die nun sogar hörbar knisternd aus der Nacht fiel, konnte dem roten Pelz nicht viel anhaben. Aber in seinem Magen nagte ein furchtbarer Hunger. Kaum zeigte sich am nächsten Morgen weit im Osten die Morgendämmerung, waren die Pferde schon angespannt. Von ganz allein legten sich die Gäule in das Geschirr. Kein einziges hartes Wort war heute vonnöten. Aufmunternd rieben sie ihre mähnigen Häupter aneinander und schnaubten sich gegenseitig so heftig zu, daß ihr weißer Atem gleich einer Dampfmaschine aus den Nüstern quoll. Hell wieherten sie in den dämmrigen Morgen hinein. Dann aber setzten sie Schritt vor Schritt und stampften mit nickenden Köpfen davon. Stampften den verschneiten Wegen entgegen, die gradewegs in den Wald führten ...
Im Wald bedeckte fingerdicker Rauhreif jegliches Geäst. Und jeder gesetzte Schritt, jeder kleinste Laut kam beängstigend der Unwirklichkeit nahe. Lediglich die plötzlich einsetzenden Hiebe der Axt sowie das metallene Klingen von Sägeblättern führten rasch in die rauhe Wirklichkeit zurück.
Tief versteckt im schützenden Unterholz ruhte das Wild. Sein Herzschlag ging schnell und hart. Vielleicht erschraken sie vor dem Menschen, vielleicht auch vor dem Ungemach dieser rauhen Zeit ...
So, liebe Leser, letzt löschen wir vorerst einmal das Licht unserer Laterna magica, welche uns auf so wunderbare Weise diese Erinnerungen schenkte. Diese Laterna magica, die mit ihrem milden Schein so weit in die Vergangenheit leuchtete. Die vielleicht aber auch mit ihrem warmen Licht unsere Seelen zu beglücken vermochte. Und wenn es uns wieder einmal danach sein sollte, dann zünden wir doch rasch diese Laterna magica wieder an. Dann wollen wir gespannt der Dinge harren, die sie in Zukunft zum Vorschein bringen - und beleuchten wir |
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