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Donnerstags kommen in unserer Kirchengemeinde immer einige Kinder und Jugendliche zusammen, die in nicht ganz einfachen Verhältnissen leben. Wenn wir den Nachmittag gemeinsam verbringen, spielt das Essen eine große Rolle. Vor einigen Jahren war das noch ausgeprägter. Als wir uns da wieder einmal zum Kaffeetrinken versammelten und es darum ging, wer das Tischgebet sprechen möchte, sagte ein etwa zehnjähriger Junge, daß er das heute tun wolle. Zum großen Vergnügen aller zitierte er dann ein Tischgebet, das er von Bart Simpson aus der Fernsehreihe aufgeschnappt hatte. "Lieber Gott, wir danken dir für gar nichts, wir haben alles selbst bezahlt."
Alle Kinder am Tisch lachten und amüsierten sich. Wie ich damals reagiert habe, weiß ich nicht mehr. Als mir die Begebenheit jetzt wieder einfiel, mußte ich ein wenig lachen und spontan würde ich dem Jungen heute wahrscheinlich antworten: "Das will ich hoffen, daß du alles bezahlt hast." (Nicht immer ist das bei ihm der Fall.)
Er hatte eine verbreitete Meinung nachgeplappert, nämlich sich nicht zu bedanken, weil man so vieles selbst kann. "Wir haben alles selbst bezahlt." Niemand hat uns etwas geschenkt! Wir versorgen uns selbst, erarbeiten uns alles selbst. Daß es uns gut geht, ist unser Verdienst, das haben wir uns etwas kosten lassen! Wir agieren weltweit, besorgen uns selbst alles, was wir zum Leben brauchen. Jederzeit ist uns alles möglich. Können wir da nicht stolz auf uns sein? Danken ist doch auch ein Zeichen von Abhängigkeit .
Andererseits ist zu beobachten, daß wir mit dieser "Wir haben alles selbst bezahlt"-Mentalität auch nicht glücklich geworden sind. Natürlich können wir uns heute in unserem Land viel leisten. Doch wir bemerken auch immer stärker die Zusatzstoffe in den ewig frischen Früchten und Blume n, wir langweilen uns mit Erdbeeren im Oktober. Wir entdecken aber neu die Schönheiten der heimischen Region und suchen das Angebot von Wochenmärkten und Hofläden mit ihren Produkten aus dem Umland. Dahinter steckt die Erkenntnis, daß dieses "Selbst-Bezahlen-Können" nur die halbe Wahrheit ist.
Nicht nur Flutkatastrophen und Dürreperioden im eigenen Land haben uns die Grenzen unseres vermeintlich unabhängigen Handelns aufgezeigt und deutlich gemacht, wie sehr wir mit unserer Umwelt und ihren natürlichen Gegebenheiten verbunden und von ihr abhängig sind. Wir erfahren immer öfter, wie sehr wir selbst ein Teil der Erde sind, ein- und angebunden an sie, wie sehr unser Handeln die Erde beeinflußt und wir das wiederum zu spüren bekommen.
Unsere Lebensgrundlage erfahren wir als geschenkt. Das Land, auf dem unser Haus gebaut ist, der Acker oder Garten, den wir bebauen, der Wald, der für gute Luft sorgt, die Quelle oder der See, aus dem unser Trinkwasser kommt, die Schätze der Erde, die für unser Wirtschaftsleben wichtig sind: sie alle waren vor uns da und sind es - hoffentlich - auch noch nach uns. Das alles haben wir nicht bezahlt - wie gut! Aber wir leben davon und merken, wie sehr wir von ihren Befindlichkeiten abhängig sind. Das läßt einen dankbar werden, denn eine Beständigkeit der Lebensgrundlagen über den eigenen Lebenshorizont hinaus ist garantiert. Ohne unser Dazutun, ohne daß wir vorher bezahlen müssen, ist Platz für uns zum Leben und seiner Entfaltung auf dieser Welt.
Wir haben die Erde nicht zu einem bestimmten Preis erworben. Wir haben sie anvertraut bekommen, überantwortet, um sie zu bebauen und zu bewahren. So sagen es schon die Schöpfungsberichte der Bibel, uralte und doch aktuelle Geschichten, die zeigen, wie Menschen sich schon immer mit ihrem Verhältnis zu dieser Welt beschäftigten und die Erde und die Schöpfung schon immer als Geschenk erfahren haben, als Geschenk, auf das sie sich verlassen können und das ihnen sicheren und festen Boden unter den Füßen gibt, das ihnen auch nicht entzogen wird, wenn sie unachtsam damit umgegangen sind.
Daran erinnert auch das Ende der biblischen Geschichte mit Noah. Ein Regenbogen ist das Zeichen der Verläßlichkeit Gottes nach der Katastrophe. Gott verspricht, daß, soviel an ihm ist, es diese Welt immer geben wird mit "Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht". Wie gut, daß das Leben nicht von unserem Geld abhängt.
Es macht Sinn, im Erntedankfest Anfang Oktober mehr zu sehen als ein bäuerliches Fest, bei dem wir die Früchte aus Feld und Garten in die Kirchen bringen und uns an ihrer Fülle und Schönheit freuen. Es gibt Gelegenheit, über das nachzudenken, was uns ohne unser Zutun gegeben und anvertraut ist.
Es ist auch Gelegenheit, über unseren Umgang mit der Schöpfung nachzudenken und uns auf unsere Verantwortung zu besinnen. Dazu gehört die Frage nach den Möglichkeiten des Klonens von Tier und Mensch, die Frage nach der Zulässigkeit von gentechnisch veränderten Lebensmitteln, die Frage nach dem Hunger in der Welt.
Eine Aufzählung zeigt die Aktualität uralter Fragen, es zeigt auch, welche Probleme uns diese "Wir haben alles selbst bezahlt"-Mentalität bereitet.
Aber: Freuen Sie sich an den oft wunderbaren stillen Tagen in dieser Jahreszeit mit einem weiten Himmel und der bunten Farbenpracht in Wald und Park und Garten. Freuen Sie sich und genießen Sie die Früchte, die der Herbst für uns bereithält. Freuen Sie sich in wunderbar und liebevoll geschmückten Kirchen über das uns anvertraute Geschenk der Schöpfung. Wir haben das nicht selbst bezahlt. Gott sei Dank!
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