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Zwei gute Stunden waren meine Frau und ich schon zu Fuß unterwegs. Ein lohnender, weiter Weg sollte es sein, um nach langem wieder einmal so richtig die Kraft der Sonne und die leicht zu atmende, weiche Luft zu genießen. So begaben wir uns bereits am frühen Morgen in unruhiger Erwartung und mit schnellem Schritt auf den Weg. Doch mit fortschreitender Stunde, als die Sonne immer höher stieg, machte die ungewohnte Schwüle uns träge und die Beine schwer wie Blei. Langsam kamen wir voran, und kurz wurden die Schritte. Weit und breit keine Ruhebank. So schlug unsere anfängliche Fröhlichkeit in eine mißliebige Stimmung um. Die Aufmerksamkeit ermüdete, und die bis dahin fließend e Unterhaltung versiegte schließlich ganz.
Wir kamen zum Rhein, dem geplanten Endpunkt unserer Wanderung. Von hier aus führte also jeder weitere Schritt nur noch nach Hause. So blieben wir erst einmal im Schatten eines Baumes stehen. Das emsige Treiben auf den privaten Segelbooten, die hier ankerten, hielt uns ganz in seinem Bann. Da wurde geputzt und geschrubbt, gescheuert und gepinselt. Es wurde "klar Schiff" gemacht.
Plötzlich und unvermittelt die erstaunliche Frage: "Was bedeutet eigentlich Annahoj?" Mit einer Gegenfrage - ein alter Trick - kann man Zeit gewinnen: "Was fragst du?"
Wortlos, mit steil erhobenem Arm, zeigte meine Frau zu einer Mastspitze empor. Ich blickte himmelwärts und tatsächlich, da war auf einem an der Mastspitze aufgezogenen, unruhig flatternden Wimpel, immer nur für Momente, von Regen und Sonne ausgebleicht, dieses in der Endsilbe seltsam klingende Wort zu lesen. Schnell war ich mit meinem Latein am Ende, und im übrigen schmerzte vom verrenkten Hochstarren mein Genick. Schon wollte ich aufgeben, da sah ich, als ich meinen Kopf und Blick senkte, am Bug des Bootes die Buchstaben "Johanna" stehen und alles war klipp und klar! Spiegelschrift!
Nun war ich es, der wortlos mit ausgestrecktem Arm waagerecht zur Bootsspitze zeigte. Kurz darauf lächelten wir uns wortlos an - ohne Verlegenheit hier und ohne Überlegenheit dort - und gingen beschwingten Schrittes weiter.
Doch dieser mitreißende Schwung reichte nur für wenige hundert Meter. Von Mattheit überwältigt, konnten wir die restliche Strecke nicht mehr überwinden. Deshalb schauten wir uns nur wortlos verstehend an, als wir gleichzeitig das Halteschild für eine Omnibuslinie erspähten! Wir schlugen einen geraden Kurs auf den Bus ein, dankten mit einem lässigen Handzeichen dem Fahrer für seinen aufmerksamen Gruß und ließen uns erschöpft auf die Sitze fallen.
Kurz darauf, ganz Kavalier, bot ich mich an, die Fahrscheine zu lösen: "Kannst du mir passendes Geld geben?" Kurz und trocken: "Nein!" Es dauerte, bis ich begriff, daß auch meine Frau kein Geld eingesteckt hatte. Das kann, auch ohne guten Rat, teuer werden! So schlich ich, der Bus hatte noch einige Minuten Aufenthalt, ziemlich bedripst zum Fahrer. "Sie wollen zwei Fahrscheine", empfing er mich freundlich.
"Nein, nein", stotterte ich, "das heißt, Sie haben natürlich völlig recht. Wollen wollte ich schon und brauchen bräuchte ich die Scheine auch, nur können kann ich nicht, wir haben kein Geld!" Der Fahrer ganz erschrocken: "Sie haben s verloren?" Ich schüttelte verneinend den Kopf. Ganz entsetzt: "Es wurde Ihnen gestohlen?" Ich mußte ein zweites Mal den Kopf schütteln. "Wir hatten uns aufeinander verlassen, und so hat keiner Geld eingesteckt."
Zugegeben, das war eine sehr umständliche Erklärung, doch der Fahrer hatte, zu meiner Verwunderung, keinerlei Schwierigkeiten damit. "Ich hatte Sie schon von weitem kommen sehen und dachte mir sofort, die müssen aber schon einen arg weiten Weg hinter sich haben." Und während er mit teilnehmender Stimme sprach, entnahm er dem kleinen Automaten zwei Fahrkarten! "Den Betrag können Sie mir morgen zurückgeben, Sie kennen ja jetzt meine Strecke." Fassungslos stammelte ich etwas von "Großherzigkeit ... einmalig ... noch nie erlebt ... einem Fremden ... Wildfremden gegenüber, ich werde Sie nicht enttäuschen, Sie bekommen Ihr Geld!" - "Aber das weiß ich doch", beruhigte er mich, "als Schulbub war ich regelmäßig über lange Zeit alle zwei Wochen bei Ihnen, allerdings noch ohne Bart", und dabei schmunzelte er spitzbübisch. "Sie haben doch meine Zähne gerichtet", sagte er und ließ blendendweiße Zahnreihen sehen, wie sie keine Reklame für Zahnpasta besser bringen könnte.
Ich ging zu meinem Platz zurück, und meine Frau machte ein ebenso verdattertes wie zufriedenes Gesicht, denn ohne Kontrollängste konnten wir eine große Strecke des Rückwegs sitzend zurücklegen. Welch eine hilfreiche Wohltat, welch eine Fügung!
Der Fahrer ließ den Motor an. Langsam kam der Bus in Fahrt und wir auch. Schon priesen wir, wieder übermütig, die Vorzüge und Annehmlichkeiten einer fahrenden Fortbewegung, die eben nur fahrend erfahrbar sind.
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