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Eduard Schewardnadse bleibt in Tiflis an der Macht

 
     
 
So mancher weitblickende Kaukasusbewohner hat denselben Traum geträumt von der Verknüpfung der Völkerschaften dieses Flickenteppichs zu einer unabhängigen Großregion wie der Armenier Nachararjan in Kurban Saids Meisterwerk "Ali und Nino": "Da sitzen wir nun, die Vertreter der drei größten Völker Kaukasiens: eine Georgierin, ein Mohammedaner (aus Aserbaidschan; Anm. d. Verf.), ein Armenier. Unter demselben Himmel geboren, von der gleichen Erde getragen, verschieden und dennoch eins – wie die drei Wesen Gottes. Europäisch und asiatisch zugleich, vom Westen und vom Osten empfangend und beiden gebend."

Doch übermächtige Nachbarn und innere Zwietracht haben die Umsetzung
dieses Traums fast immer verhindert. Heute ziehen zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer trotz der Wiedergewinnung staatlicher Souveränität noch immer auswärtige Mächte die Fäden. Im Nordkaukasus sowie in Armenien sind es vor allem die Russen, in Aserbaidschan Türken, US-Amerikaner und Perser, und in Georgien werden die Karten der Macht gerade neu gemischt. Dabei scheint Moskau immer weniger und Washington und Ankara immer mehr Asse in der Hand zu haben.

Um das an Kultur und Bodenschätzen reiche Georgien kann es einem wahrlich leid tun. Auf den Zerfall der Sowjetunion und jahrelange Bürgerkriege folgten der totale Zusammenbruch der Industrie sowie eine bis in die Gegenwart lähmende Spaltung in Schewardnadse-Anhänger und -Gegner. Nur ein politischer Trumpf scheint allen Georgiern gemeinsam zu sein: die Deutschlandfreundlichkeit und das Vertrauen auf deutsche Hilfe.

Wer heute durch Georgien reist, stößt auf ein außerordentliches Interesse an Deutschland, das seinesgleichen sucht. Viele, vor allem jüngere Menschen sprechen deutsch. Ein Großteil unserer Literaturklassiker ist ins Georgische übersetzt. Das Allgemeinwissen über die Geschichte und Literatur Mitteleuropas ist beschämend gut.

Schon die tüchtigen schwäbischen Kolonisten, die sich nach 1818 in und um die Hauptstadt Tiflis niederließen, gewannen bei ihren Nachbarn großes Ansehen. Weitere Sympathien brachten die vielen georgischen Studenten mit, die während der Zarenzeit im Deutschen Reich studiert hatten. Einer von ihnen, Konstantine Gamsachurdia, wurde zum bedeutendsten georgischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts und machte nach seinen Studien in Königsberg, Leipzig, München und Berlin sein Volk mit den Werken Goethes, Heines und Rilkes bekannt. Sein als antikommunistischer Dissident in Erscheinung getretender Sohn Swiad avancierte 1991 mit begeisterter Zustimmung zum ersten Präsidenten der jungen Republik.

Auf höherer politischer Ebene waren es die deutschen Kaukasustruppen im Ersten Weltkrieg, die freundschaftliche Gefühle weckten. Als Georgien am 27. Mai 1918 seine Unabhängigkeit erklärte, waren sie es, die das Land vor den expandierenden Türken schützten und bei ihrem Abzug Anfang 1919 die wertvolle Ausrüstung an die Waffenbrüder übergaben. Ein sichtbares Symbol dieser Allianz sind die georgischen Nationalfarben Rot-Weiß-Schwarz, die vom Kaiserreich übernommen und mit Hilfe deutscher Fachleute graphisch neu zusammengestellt wurden.

Georgien bleibt aus diesen Gründen der erste Ansatzpunkt deutscher Außenpolitik in der geopolitischen Schlüsselregion Kaukasus. Im Gegenzug ist für das von mehreren tendenziell feindlichen Staaten umgebene Georgien die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Deutschland als dem größten ausländischen Investor von geradezu staatserhaltender Bedeutung. Wenn noch kurz vor den jüngsten Präsidentschaftswahlen am 9. April Kanzler Schröder als Vertreter des wichtigsten ausländischen  Handelspartners Tiflis besuchte, dann war dieser Termin alles andere als zufällig. Schewardnadse wollte mit deutschen Gesichtern Stimmen sammeln.

Ansonsten sind diese "Wahlen" und die offiziellen 80 Prozent für den Amtsinhaber alles andere als aussagekräftig, zumal der adscharische Regionalpräsident Aslan Abaschidse als einziger ernstzunehmender Mitbewerber seine Kandidatur im letzten Moment zurückzog. Die Mehrheit der zersplitterten Gamsachurdia-treuen Opposition hatte von vornherein Wahlfälschungen vorausgesagt (einige OSZE-Wahlbeobachter haben solche bereits bestätigt) und frühzeitig zum Boykott aufgerufen. Martin Schmidt

 
     
     
 
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