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Dramatische Tage in Budapest vor einer herausragenden historischen Kulisse: Am 23. Oktober 1956 begann der ungarische Freiheitskampf, der zum Ziel hatte, die auf die sowjetische Besatzung Ungarns gestützte kommunistische Diktatur zu beseitigen. Nach elf Tagen eines äußerst blutig geführten heldenhaften Kampfes im ganzen Land, mit Schwerpunkt in Budapest, erstickte der sowjetisch e Panzerkommunismus den Freiheitswillen der Magyaren.
50 Jahre später ist die Lage im Land wieder äußerst angespannt. Das ungarische Volk ist tief gespalten, seit der sozialistische Ministerpräsident Gyurcsány eingestanden hat, im Wahlkampf die Wähler über das Ausmaß der wirtschaftlichen Schwierigkeiten Ungarns vorsätzlich getäuscht zu haben. Das bürgerliche Lager, angeführt vom parlamentarischen Oppositionsführer Victor Orban, fordert den Rücktritt der Regierung. Andauernde Demonstrationen in der ungarischen Hauptstadt unterstreichen diese Forderung.
Vergangenen Sonntag fand in der Budapester Oper ein Staatsakt zur Erinnerung an das Geschehen in Ungarn vor 50 Jahren statt. Um den ausländischen Gästen nicht das Schauspiel demonstrierender Menschenmassen zu bieten, hatte die Regierung das Stadtgebiet um die Oper weiträumig absperren lassen. Tausende Polizisten aus dem ganzen Land waren im Einsatz. Zahlreiche Hubschrauber kreisten zur Luftbeobachtung über der Stadt und Polizeiautos mit Sirenengeheul rasten durch die Straßen. Für Teilbereiche der Stadt bestand faktisch der Ausnahmezustand.
Am Abend dann beruhigte sich die Situation. An mehreren Stellen Budapests trafen sich zu später Stunde Hunderte junger Menschen mit Fackeln, die an den Erinnerungsstätten des Freiheitskampfes Blumengebinde niederlegten und die Nationalhymne sangen. Für ausländische Zuschauer ungeheuer beeindruckend.
Am 23. Oktober - er ist in Ungarn Staatsfeiertag - hatte die sozialistische Regierung unter Ministerpräsident Gyurcsány zu einer Gedenkveranstaltung vor dem Parlamentsgebäude eingeladen, an der zahlreiche Staatschefs, so auch Bundespräsident Köhler, teilnahmen. Die Opposition unter Führung von Victor Orban kam zu einer separaten Gedenkveranstaltung zusammen.
Das bürgerliche Lager in Ungarn ist der Auffassung, daß die in der Regierungsverantwortung stehenden Postkommunisten moralisch nicht legitimiert sind, das geistige Erbe des ungarischen Freiheitskampfes von 1956 anzutreten und weiterzugeben, weil sie bis zum heutigen Tage das kommunistische Unrecht nicht genügend aufgearbeitet haben. Der sozialistische Ministerpräsident Gyurcsány wird von einem Teil der Bürgerlichen abgelehnt, weil er als kommunistischer Jugendfunktionär bis zur Wende Stütze und Nutznießer des Unrechtsregimes war.
In den Abendstunden des Nationalfeiertags und in der Nacht eskalierte die Auseinandersetzung zwischen den beiden Lagern. Mehr als hundert Verletzte, ein Dutzend Schwerverletzte und umfangreiche Sachbeschädigungen sind als Bilanz für diese Nacht zu notieren. Gezielte Provokationen einzelner Personen, die nicht eindeutig einem Lager zuzuordnen waren, aber auch rüde zugreifende Sicherheitskräfte sind für die Eskalation verantwortlich zu machen.
Die ungarischen Opfer des ungleichen Freiheitskampfes vor 50 Jahren sind zahlreich, aber nicht namenlos. In Budapest sind nach der Wende von 1989 an den Stellen des intensiven Kampfgeschehens Gedenktafeln und Denkmale zur Erinnerung geschaffen worden. Ungarn hält die Erinnerung an diese wichtigen Tage seiner Geschichte lebendig.
Der unbeteiligte deutsche Zuschauer fragt sich, angesichts der historischen Ereignisse in Ungarn, wer eigentlich das Vermächtnis des deutschen Freiheitskampfes vom 16. und 17. Juni 1953 in der damaligen SBZ/DDR erfüllen wird. Mit einem Federstrich hatte der Gesetzgeber 1990 den 17. Juni als Nationalfeiertag zugunsten des bezuglosen 3. Oktober aufgegeben. |
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