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In einer Phase tiefer Agonie finden sich in Preußen Reformer zusammen, die dem Land den Weg zur Befreiung von der Franzosenherrschaft und zur Erneuerung ebnen wollen. Vor allem der Reichsfreiherr vom Stein setzt mit seiner Stadtordnung und dem Organisationsedikt Meilensteine auf diesem Weg Preußens zu einem freien und modernen Staat, die bis heute wirken.
Gerade der durch den Frieden von Tilsit verstümmelte und gedemütigte preußische Staat zieht Verwaltungsbeamte , Staatsmänner, Offiziere und Gelehrte an, die im Geiste des langsam erwachenden deutschen Nationalgefühls und in selbständiger Weiterentwicklung der Ideen der Französischen Revolution eine grundlegende Erneuerung des Staates anstreben. Hierin sehen sie die Vorbedingung für einen Wiederaufbau und die Befreiung vom französischen Joch.
Stärkste Kräfte in dieser Reformbewegung sind Karl August Fürst von Hardenberg und der Minister Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein, dessen Nassauer Denkschrift vom Juni 1807 das große Manifest der Reformen wird.
Aus einem reichsritterlichen Geschlecht stammend, tritt der 1757 geborene vom Stein im Jahre 1780 in den preußischen Staatsdienst ein. 1804 wird er zum preußischen Finanz- und Wirtschaftsminister ernannt. Er entwirft Pläne, den Staat für die Auseinandersetzung mit Frankreich vorzubereiten, scheitert jedoch zunächst mit seinen Reformplänen zur Umstrukturierung der Staatsverwaltung. Im Januar 1807 wird er von seinem König entlassen, da er zu deutlich Kritik an der preußischen Politik geübt hat. Auf seinem Stammsitz verfaßt er die "Nassauer Denkschrift", in der er sein Programm für eine Erneuerung des preußischen Staates darlegt. Nach dem Frieden von Tilsit wird er im Oktober 1807 mit Billigung Napoleons zum leitenden Minister mit der Zuständigkeit für die Innen- und Finanzpolitik berufen. In dieser Funktion beginnt er mit der Durchsetzung seiner Reform- und Modernisierungspläne. Hierzu erarbeitet er verschiedene Gesetzeswerke. Nachdem er zunächst die Bauernbefreiung eingeleitet hat, durch die ein freier Bauernstand geschaffen wurde und ein Aufschwung in der Landwirtschaft bewirkt werden kann, kann er nun auch erfolgreich die Staatsverwaltung reformieren. Außerdem entwirft er eine Städteordnung mit dem Ziel einer Selbstverwaltung auf kommunaler Ebene.
Am 19. November 1808 wird den Gemeinden eine gewisse Selbständigkeit gewährt. Das Finanz-, Schul- und Sozialwesen fällt jetzt in städtische Zuständigkeit. In Kommunalwahlen, an denen sich aber nur Bürger mit einem Mindesteinkommen von 150 Talern beteiligen können, wird eine Stadtverordnetenversammlung gewählt. Diese ist nun Träger gemeindlicher Rechtssetzung und Verwaltung. Der von ihr gewählte Magistrat steht als abhängiges Vollzugsorgan an der Spitze der Stadtverwaltung. Die städtischen Bürger werden ein in sich gleichberechtigter, staatsunmittelbarer Stand, dessen Mitwirkung an der Selbstverwaltung aber an Besitz und Bildung gebunden bleibt.
Durch das Organisationsedikt wird die nicht verantwortliche Kabinettsregierung abgeschafft. An ihrer Stelle stehen nun die fünf klassischen Fachministerien für Inneres, Äußeres, Finanzen, Krieg und Justiz, die von einem Staatsrat kontrolliert werden sollen. Damit sind in Preußen erstmals verantwortliche Ressortministerien eingerichtet worden. Vorsitzender des Ministerrates wird ein Staatskanzler. In den Provinzen ersetzen Regierungen die bisherigen Kammern. Mit diesen Maßnahmen ist ein entscheidender Schritt vom absoluten zum konstitutionellen Königtum getan.
Mit der Aufhebung der Zunftordnung zugunsten der Gewerbefreiheit ermöglicht Stein die spätere Industrialisierung Preußens. Weitergehende Reformpläne scheitern jedoch am altpreußischen Widerstand und der Ablehnung Napoleons. Den Haß der Großgrundbesitzer hat sich vom Stein bereits durch die Bauernbefreiung zugezogen. Napoleon, der eine Stärkung der Regenerationskräfte Preußens unbedingt verhindern will, drängt schließlich auf seine Entlassung, da Stein die Vorbereitungen für eine Erhebung in Norddeutschland zu unvorsichtig betrieben hat. Unmittelbarer Anlaß für seine Entlassung ist ein von den Franzosen abgefangener Brief, in dem er Gedanken über die Organisation des deutschen Widerstandes gegen die Fremdherrschaft formuliert.
Hand in Hand mit der Modernisierung der Staatsverwaltung geht seit 1807 die Erneuerung des Heerwesens, die von den Generalen Scharnhorst und Gneisenau sowie Kriegsminister Boyen betrieben wird. Durch diese Heeresreform wird ein "Volk in Waffen" geschaffen und die militärische Befreiung Preußens von den Franzosen vorbereitet. Maßgeblicher Gestalter der geistigen Erneuerung im Lande ist der Gelehrte Wilhelm von Humboldt. Unter seiner Regie wird das Bildungswesen verstaatlicht, die allgemeine Schulpflicht durchgesetzt und das Unterrichtswesen neu gestaltet. Die von ihm gegründete Berliner Universität wird zum geistigen Mittelpunkt der sich nun in Preußen immer stärker regenden Freiheitsbewegung.
Seit 1812 ist vom Stein politischer Berater des russischen Zaren, den er nach dem Rückzug der Franzosen bestärkt, den Krieg mit dem Ziel der Befreiung Europas fortzusetzen. Im Frühjahr 1813 vermittelt er den preußisch-russischen Bündnisvertrag von Kalisch. Die Verwaltung der in den Befreiungskriegen von den alliierten Truppen besetzten Gebiete wird ihm unterstellt. Den Wiener Kongreß erlebt er als Mitglied der russischen Delegation. Stein stirbt am 29. Juni 1831 auf seinem Besitz in Cappenberg. Die von ihm eingeleiteten Reformen aber haben ihn überdauert. So wirkt die von ihm erdachte Städteordnung noch heute in den Gemeindeordnungen der Bundesländer nach.
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