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Not macht erfinderisch. Die Deutschen hatten 1945 annähernd alle verloren: den Krieg, ihren Führer, Hab und Gut, Ehre, Treue und obendrei ihre Juden. Gewonnen hatten sie lediglich den fatalen Ruf eines Mördervolks Das meiste bauten sie wieder auf: ihre Städte, ihre Wirtschaft, ihr Militär ihren Sport. Allein ihr Schlächter-Ruf blieb an ihnen haften wi Hundedreck an der Sohle. Dabei arbeiteten die Deutschen nach Kräften a einem "neuen guten Namen". Die Westdeutschen übte "Wiedergutmachung ". Sie zahlten und zahlen bis heute. Sie wolle sich einen guten Ruf erkaufen: demokratisch, human, judenfreundlich. Si bauen Judenmahnmäler, organisieren "Christlich-jüdisch Zusammenarbeit", "Wochen der deutsch-jüdischen Brüderlichkeit" und Jugendaustausch mit Israel.
Da hatten es die Ostdeutschen einfacher. Sie errichteten den erste freien, sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden. D ein solches politisches Idealgebilde per se antifaschistisch zu sei hatte, meinte man, sich um die Last der deutschen Geschichte drücken zu können Dabei war die DDR durchaus bereit, historische Verantwortung zu übernehmen Der Marxismus-Leninismus sowie die leitende Hand der Sowjetunion wiese ihr dabei den richtigen Weg.
Die Juden hatten nicht zuletzt dank der tatkräftigen Mit- und Militärhilf des Friedenslagers ihren eigenen Staat errichtet. Doch Israel dachte nich daran, sich im sozialistischen Block einzuordnen. Statt dessen suchte de Judenstaat sein Heil bei den Imperialisten. Daraufhin erteilte die DD Jerusalem die Ideologisch passende Antwort. (Ost)-Berlin stellte sich au die Seite der wahren Opfer des Faschismus, also der "Opfer de Opfer". Fortan unterstützte die DDR die Palästinenser. Ideologisc durch die Verdammung des rassistischen Zionismus, militärisch durc Waffenlieferungen an dessen Opfer.
Auch die Westdeutschen taten alles, um die "Vergangenheit zu bewältigen" Da die Juden und ihre Freunde sich nicht mit materielle "Wiedergutmachung" zufriedengeben wollten, suchten die Deutsche einen geistigen Überbau ihrer Judenfreundschaft. Mit tatkräftige Unterstützung der Hebräer erfanden sie den "Musterjuden".
Der wahre Schöpfer des Musterjuden ist, wie bei vielen bleibende neudeutschen Kreationen, Helmut Kohl. Bei der Beerdigung des ehemalige Vorsitzenden des "Zentralrats der Juden in Deutschland" sprac Kanzler Kohl 1984 den denkwürdigen Sätze: "Werner Nachmann war .. ein deutscher Patriot ... der sich seine Liebe zu Deutschlan bewahrte." Prompt meldete sich der deutsch-jüdische Historike Michael Wolffsohn zu Wort: Ich bin etwas, was es seit 1933 kaum noch gibt ein ... in Deutschland lebender deutsch-jüdischer Patriot. Ei bundesdeutsch-jüdischer Patriot, zu dessen Wir-Gefühl die DDR oder die ehemaligen deutschen Ostgebiete nicht gehören." Kurz darauf ging die deutsche Teilung zu Ende. Egal, das Musterjudentum erwies sich als robus und widerstand allen geschichtlichen und politischen Widrigkeiten. Sein Vertreter wußten, was von ihnen erwartet wurde. So korrigierte sic Michael Wolffsohn in seinem nächsten Buch mit dem Satz: "Zu meine deutschen Wir-Gefühl zählt inzwischen auch die (noch) DDR." N bitte!
Wolffsohn blieb nicht der einzige Musterjude. Der populärste unte ihnen wurde Ignatz Bubis. Der Frankfurter Immobilienunternehmer diente bi Ende der achtziger Jahre Linksintellektuellen und solchen, die sich dafü hielten, als Haß-Figur eines "jüdischen Spekulanten". Raine Werner Fassbinder persiflierte ihn in seinem Stück "Der Müll, die Stadt und der Tod". Nach der Wiedervereinigung aber suchten die Deutschen Frieden. Wenn nicht mit sich selbst, dann zumindest mit ihre "jüdischen Mitbürgern". Niemand eignete sich dafü trefflicher als der seit 1992 als Nach-Nachfolger Nachmanns amtierend Ignatz Bubis. Der joviale Frankfurter Kaufmann wurde zur Kultfigur de deutschen Gutmenschen. Ignatz Bubis war beliebter als viele Popstars. Bal forderten zahlreiche Medien, Philosemiten und andere Wichtigtuer die Wah von Ignatz Bubis zum Bundespräsidenten. Hätte der Frankfurter nich geschmeichelt abgewunken, wäre den geplagten Deutschen endlich zu ihre Seelenfrieden verholfen worden. Ein Musterjude als Staatsoberhaupt hätt in ihren Augen den Triumph der deutsch-jüdischen Aussöhnung bedeutet.
Ignatz Bubis blieb auch ohne die Weihe des höchsten Staatsamtes bis zu seinem Tode der Musterjude par excellence und daher einer der populärste Deutschen. Als Bubis kurz vor seinem Ableben dem "Stern" erklärte er habe "fast nichts bewirkt", brach für viele Deutsche ein Welt zusammen. War ihre Judenliebe umsonst gewesen? Wollten die Juden ihr Versöhnungssucht nicht anerkennen? Gemach. Ignatz Bubis, der König de Musterjuden, ist tot. Doch er hat viele Epigonen. Daran hat weder die Abwahl des Musterjuden-Schöpfers Helmut Kohl noch der Tod des ungekrönte Musterjudenkönigs Ignatz Bubis etwas ändern können. So paßt der österreichisch-jüdisch Schriftsteller und Journalist Peter Sichrovski dem Rechtspopulisten Jör Haider als Musterjude hervorragend ins Konzept. Denn Sichrovski bejaht die meisten rassistischen Aussagen seines Paten. Der belohnte seine Musterjuden prompt mit einem Mandat als Europa-Abgeordneter. In Straßbur und anderswo versucht Sichrovski seither die politische Reputation seine Meisters durch eine jüdische Fehlfarbe aufzuhellen. Er ist sich bewußt daß er dabei als Musterjude mißbraucht wird. Sichrovski beruft sich au einen prominenten Kollegen: "Ignatz Bubis sagte von sich, er habe in Deutschland eine reine Alibifunktion. Wir Juden, die heute in Deutschlan und Österreich eine öffentliche Rolle spielen, müssen uns klar darübe sein, daß wir alle... eine Alibifunktion haben." Zumindest in diese Punkt ist Sichrovski illusionlos und selbstbewußt – was man nicht vo allen Musterjuden behaupten kann.
Viktor Klemperer wollte mit der Religion seiner Väter nichts zu schaffen haben. Er kehrte dem Judentum lange vor der Naziherrschaft den Rücken Doch dies wurde weder von den Nazis noch von den Nachgeborene respektiert. Jahrzehnte nach Klemperers Ableben wurde er zum Musterjude stilisiert. Der Dresdner hat während der Nazi-Herrschaft ergreifend Tagebuchnotizen verfaßt. Klemperer lehnte das Judentum ab und verachtet Zionisten noch mehr als Nazis.
Taugt der Romanist gerade deshalb als Musterjude und als deutsch-jüdische Patriot? Als diesen zelebriert ihn der Schriftsteller Martin Walser Vergessen wir nicht die Frauen! In der deutschen Öffentlichkeit gilt Le Rosh als Musterjüdin schlechthin. Denn sie ist die Kassandra de Holocaust-Mahnens. Die Vermessenheit, mit der die Publizistin in eine Interview, zur Gaskammer befragt, erklärt: "Es fällt mir nich vorzustellen, da hineingetrieben zu werden", wird hingenommen. Schließlic hält man Rosh für eine Jüdin – und die genießen in Nach-Auschwitz-Deutschland vielfach Narrenfreiheit. Daß Rosh keine Jüdi ist, wird ignoriert.
Während Lea Rosh gern mit dem Hammer polemisiert, fechten ander Musterjuden mit dem Florett. Ihr Anliegen ist ihnen bitter- oder, besse gesagt, bierernst. Stephan Sattler ist Feuilletonchef de "Focus". Eifrig wacht der Kulturschreiber über jüdisch Belange. Als ich in einer Kritik Maxim Billers neuem Buch nur spärliche Lob zukommen ließ, empörte sich Sattler. Im "Focus" warf e mir vor, ich hätte "… die Devise, ,Eine Krähe hackt der andere kein Auge aus‘ gröblich" mißachtet. Sattler meinte, wie er mir späte bestätigte, ich wäre da einem üblen Spiel aufgesessen, dessen Rei darin bestehe, zwei Juden gegeneinander aufzuhetzen – damit die Deutschen ihren Spaß beim Hebräer-Schaukampf hätten.
Täglich schreiben Deutsche über Deutsche. Niemand findet etwas dabei Warum soll ein Jude es nicht dürfen? Weil die Antisemiten sich freuen können Ob die Antisemiten sich freuen oder ärgern, ist mir wurscht. Ich möcht als freier Mensch in diesem Land leben. Wir haben Meinungsfreiheit, un davon mache ich wie jeder andere Gebrauch. Die Philosemiten, die uns Jude ständig so innig umarmen, daß sie uns die Luft zum Atmen rauben, gehe mir mächtig auf die Nerven. Sie meinen uns ständig sagen zu müssen, wa wir zu tun haben. Sie sollen ihre klugen Ratschläge für sich behalten.
Dabei ist mir bewußt, daß auch ich als Musterjude agiere ode zumindest als solcher mißbraucht werde. Da mag Sattler recht haben Bereits 1997 hatte ich in meinem Roman "Der Musterjude" geschrieben: "Die deutschen Mörderseelen sind süchtig nach jüdische Themen. Ihre Zeitschriften quellen über mit Artikeln jüdischer Autoren ... Broder, Wolffsohn, Brumlik, Biller, Seligmann und die anderen Idiote können schmieren, was sie wollen, die Deutschen sind darauf versessen den Tinnef zu lesen.
Das Leben des Musterjuden ist zäh. Er wird so lange gedeihen, wi Hitler und seine mehr oder minder willigen Helfer unsere Seelen bedrücken Dennoch sollten wir alles tun, um dem Musterjuden den Garaus zu machen. I unserem eigenen Interesse – einerlei ob wir Juden oder Christen Deutsche oder Ausländer sind.
(Der Abdruck dieses Beitrages, der am 29. April in der "Berline Zeitung" erschien, erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors)
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