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Angst vor Weimar

 
     
 
Deutschland und seine lähmenden Schatten aus der Vergangenheit“ – auch die am Freitag von Bundeskanzler Schröder gestellte Vertrauensfrage fällt unter diese Überschrift. Anstatt sich einfach wegen Regierungsunfähigkeit aufzulösen – egal ob nun wegen unüberbrückbarer Gegensätze mit den Grünen, den SPD-Linken, der Unionsmehrheit im Bundesrat oder einfach eigener Unfähigkeit –, muß Bundeskanzler Schröder dieses peinliche Spektakel einer Vertrauensfrage inszenieren, bei der, anders als sonst, ihm das Vertrauen abgesprochen werden soll.

Grund für diesen blamablen Umweg ist die bundesrepublikanische Verfassung, die eine Selbstauflösung des Bundestags aus freien Stücken nicht vorsieht. Grund hierfür ist wiederum – und da wären wir wieder bei der schattenwerfenden Vergangenheit – die Angst vor Weimar
. Jene Republik die, so wird es stets betont, aufgrund einiger Schwächen ihrer Verfassung die Machtergreifung Hitlers erst ermöglicht habe.

Als Folge dieser Angst vor Weimar wurden zahlreiche (grund-)gesetzliche Sicherungsmechanismen – Selbstauflösungsverbot, Fünf-Prozenthürde, Verbot von Listenverbindungen, Blockademöglichkeit durch den Bundesrat – eingebaut, die eine Wiederholung der Vergangenheit ausschließen sollten.

So kann möglicherweise eine Wiederholung der Vergangenheit verhindert werden, aber die Gegenwart wird durch sie blockiert. Schröder konnte seine Politik nicht offen zur Wahl stellen und der Wähler mußte mitansehen, wie über Wochen mit verschiedenen Taschenspielertricks versucht wurde, den Grünen den „Schwarzen Peter“ bei dieser Groteske zuzuspielen, da die eigenen Genossen Schröder nur sehr ungern offen ihr Vertrauen absprechen würden. Obwohl, das sei angemerkt, er gerade dieses verspielt hat, indem er die Entscheidung Neuwahlen abzuhalten nur mit Müntefering im Alleingang entschieden hat. Dies geschah ohne Rücksicht auf die Tatsache, daß zahlreiche Minister und Bundestagshinterbänkler so wohl ihren Job verlieren.

Um die Neuwahlen nicht zu gefährden, wurde den SPD-Bundestagsabgeordneten – wieder durch die Parteispitze, dieses Mal aber in Person von Franz Müntefering – empfohlen, sich durch Enthaltung dieser Entscheidung zu entziehen. Doch nicht jeder zeigte sich bereit, sich zu fügen. „Ich kann im Wahlkampf doch nicht für Gerhard Schröder werben und ihm zuvor mein Vertrauen verweigern“, so der Vorsitzende des Bundestags-Gesundheitsausschusses Kirschner.

Aber nicht nur die eigene Partei erhöhte mit ihrer Widerspenstigkeit die öffentliche Aufmerksamkeit auf das sich bietende Schauspiel. Auch die Grünen debattierten bis zur letzten Minute öffentlichkeitswirksam, wie sie sich zu entscheiden gedenken. Der Grünen-Abgeordnete Werner Schulz drohte sogar mit einer Verfassungsklage, denn Schröder und Müntefering sollten nicht denken, sie könnten „sich das Grundgesetz zurechtbiegen, wie es ihnen gerade paßt“.

Aber nicht nur Werner Schulz drohte mit Klage, auch die Ökologisch-Denokratische Partei (ÖDP) nutzte diese Chance, um ans Licht der Öffentlichkeit zu treten. Werbewirksam verkündete die Nischenpartei, sie wolle auf jeden Fall eine Klage einreichen, da alle Parteien, die nicht schon im Bundestag vertreten seien, 30.000 Unterschriften für ihre Zulassung sammeln müßten. Hierzu sei man aber in so kurzer Zeit nicht in der Lage.

Rechtsexperten sind sich über die Erfolgschancen möglicher Verfassungsklagen uneins, schließlich habe es so etwas noch nicht gegeben. Und auch Horst Köhler hat eine schwere Entscheidung zu treffen. Obwohl jeder weiß, daß die Vertrauensfrage nichts als Mauschelei ist, um Neuwahlen durchzudrücken, muß er innerhalb von 21 Tagen prüfen, inwieweit sie mit der Verfassung vereinbar ist.

Alles in allem habe die Angst vor Weimar in einem wichtigen Aspekt ein zweites Weimar geschaffen: Die Wähler sind genauso frustriert von der in diesem Land gelebten Demokratie und wenden sich von der Politik ab. Welche Folgen das dieses Mal haben wird, ist noch nicht absehbar. Fritz Hegelmann

 

Positiv gestimmt: Nur wenige Tage vor seiner Vertrauensfrage im Bundestag reiste Bundeskanzler Schröder in die USA, um dort für einen deutschen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu werben. Der Kanzler war so positiv gestimmt, daß er die Aussage des US-amerikanischen Präsidenten, er sei nicht „gegen irgendein Land“ als „erfreuliche Klarstellung“ bezeichnete. Aussagen Schröders wie „Wir sind bereit, noch stärker als bisher internationale Verantwortung zu übernehmen“ dürften Bush nach seiner Erfahrung mit Deutschland im Irakkrieg jedoch eher verschreckt haben.
 
     
     
 
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