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Es gibt ihn also doch noch, den Politiker mit Zivilcourage. Zum Beispiel Mister Kim Howells. Der Mann ist in London, im Kabinett Ihrer Majestät, zuständig fürs Kulturelle - und für alles, was dafür ausgegeben wird. In dieser Eigenschaft hatte der Minister das offenbar zweifelhafte Vergnügen, in der renommierten Tate-Galerie vorab eine Ausstellung zu besuchen, in der sich die Kandidaten für den ebenfalls renommierten Turner-Preis präsentierten.
Das übliche Ritual bei solchen Gelegenheiten: Der zum Kunstgenuß abkommandierte Politiker läßt sich von einem mit der Sache mehr oder weniger vertrauten Mitarbeiter ein paar lobende Worte über die Künstler sowie möglichst unverständliche Mutmaßungen über die Kunstwerke notieren, trägt diese mit gewichtiger Miene vor, gibt zu erkennen, daß er zutiefst ergriffen ist, und hat die brennen de Frage, was der Künstler uns damit sagen will, spätestens bei Antritt der Heimfahrt verdrängt.
Mister Howells in London hatte den seltenen Mut, sich nicht an dieses Ritual zu halten. Er gab nicht - wie im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern - vor, etwas zu sehen, was in dieser Ausstellung gar nicht vorhanden war, nämlich große Kunst. Statt dessen nannte der Minister die Dinge ungewohnt freimütig beim richtigen Namen: "Bullshit"! Die unter Anhängern zeitgenössischen Kunstschaffens als anrüchig geltende Wertung war ihm gekommen, als er das Exponat der als Favoritin gehandelten Fiona Banner betrachtete: eine schlichte Wand, vier Meter hoch, sechs Meter breit, eng beschrieben mit einem Text, der sehr detailliert die Aktivitäten eines Pornofilm ausbreitet. Die Künstlerin ließ verlauten, sie wolle damit "die Grenzen der Kommunikation testen". Des Ministers Wohlwollen aber fand weder dieses Pornogekritzel noch das Œuvre Catherine Yass , die mit einer an Hochhausfassaden entlangrasenden Videocamera arbeitet und "unter die Oberfläche der sichtbaren Welt" zu gelangen trachtet, was ihr wohl auch gelungen ist.
Die Absurditäten-Show bei Tate wäre kaum eine Zeile wert, wenn es sich dabei um ein lokales Ereignis handeln würde. Leider aber ist es seit Jahrzehnten in aller Welt üblich, unter der irreführenden Bezeichnung "zeitgenössische Kunst" jeden Mist, jeden Schwachsinn und jede Perversion zu verbreiten. Theater wird fast nur noch im entblößten Zustand wahrgenommen, in Konzerten erlebt (oder erleidet) man den fließenden Übergang von Musik zur vorsätzlichen Körperverletzung, Museen und Galerien unterscheiden sich kaum noch von Sperrmüll-Sammelplätzen.
Gesteuert wird das alles nicht etwa von einfältigen Banausen, sondern von einer geschäftstüchtigen Kultur-Mafia. Zeitgenössische Kunst ist - bis auf ganz wenige Ausnahmen - vor allem ein gigantisches Geschäft, in dem jährlich Milliardensummen umgesetzt werden. Der Wert eines Kunstwerks bemißt sich in Dollar und Euro - und steigt besonders hoch, wenn traditionelle Werte möglichst tief in den Dreck gezogen werden. Das Publikum läßt sich das alles bieten, wie einst in Andersons Märchen - schließlich will niemand als "Banause" dastehen. Und kein Politiker wagt es, gegen den Strom zu schwimmen - man könnte ja als unmodern, altmodisch, konservativ oder gar "rechts" abgestempelt werden ... Darum hat der britische Kulturminister Kim Howells recht, wenn er sich über den Kunst-Mist erregt. Und darum hat er es auch verdient, als zur Nachahmung empfohlen herausgestellt zu werden. Wie lange müssen wir eigentlich noch auf einen ähnlich couragierten deutschen Spitzenpolitiker warte |
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