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Aus der klassischen Tradition

 
     
 
Man hat mich als Expressionisten gelten lassen, als Entarteten gebrandmarkt, als Klassizisten beiseite gelegt und als Realisten wieder hervorgeholt." Diese denkbar kurze und prägnante Autobiographie stammt aus der Feder von Gerhard Marcks. Sie nachzuvollziehen, lädt ein Querschnitt aus sieben Schaffensjahrzehnten ein. Die Werke des 1889 in Berlin geborenen Gerhard Marcks gelten als Inbegriff einer aus klassischen Traditionen schöpfenden Formensprache. Marcks ist es übrigens auch zu verdanken, daß die Bronze von Andreas Schlüter, König Friedrich I
. als Kurfürst Friedrich III. darstellend, vor dem Charlottenburger Schloß Aufstellung fand. Gemeinsam mit seinem Freund, dem Rastenburger Bildhauer Waldemar Grzimek, hatte er von dem Denkmal, das 1802 gegenüber der Schloßwache in Königsberg aufgestellt worden war, seit 1945 jedoch als verschollen gilt, eine Kopie anfertigen lassen.

Nicht weniger als 400 Skulpturen, über 12000 Handzeichnungen und mehr als 1000 Blätter Druckgraphik aus der Hand des vor 25 Jahren (12. November 1981) verstorbenen Künstlers umfaßt der reiche Sammlungsbestand des Bremer Gerhard Marcks Hauses. Aus diesem Fundus zeigt das Museum derzeit eine exquisite Auswahl.

Beeinflußt durch den Expressionismus entfernte sich Gerhard Marcks ab 1916 mehr und mehr von einer am Naturvorbild orientierten Auffassung der Figur. Die Grundformen sind nun kubischer und stark vereinfacht gestaltet, teils in den Proportionen auch verzerrt. Die "Sitzende Mutter mit Kind" entstand in Dornburg, wo Gerhard Marcks zwischen 1919 und 1925 die Töpferabteilung des Weimarer Bauhauses leitete. Während dieser Zeit thematisierte er in seinen Arbeiten besonders das einfache, ländliche Leben, wie er es in der Umgebung fand und in dem er - gemäß expressionistischer Vorstellungen - nach dem Ursprünglichen des Menschen suchte. Auch das verwendete Material ist typisch für diese Werkphase. Es entsprach zum einen den Vorstellungen einer traditionell handwerklichen Kunst, wie sie von Marcks zu dieser Zeit verfochten wurde. Zum anderen war es ein Werkstoff, der in der Umgebung von Dornburg leicht zu erhalten war. In der ersten Hälfte der 1920er Jahre entwickelte Gerhard Marcks den Holzschnitt zu großer Meisterschaft. Gut 120 Holzstöcke entstanden in dieser Zeit. Die Hinwendung zu dem graphischen Medium wurde durch die Kollegen am Bauhaus angeregt. Lyonel Feininger unterwies ihn in der Technik. Marcks aber kam ebenso der handwerkliche Anspruch wie die Notwendigkeit einer strengen Bildorganisation entgegen. Zudem bildete der Holzschnitt ein Medium, das sich in den von wirtschaftlicher Not geprägten Jahren nach dem Ersten Weltkrieg stets realisieren ließ. Die Motive sind ähnlich wie die gleichzeitigen Zeichnungen von der ländlichen Umgebung Dornburgs geprägt.

Nach seinen Anfängen als Tierbildhauer - "... bis mich vor den Käfigen im Zoo die Verzweiflung packte. Schneller Erfolg schien Warnung" - ist der "Stehende Mann" von 1910 die erste menschliche Figur im Werk von Gerhard Marcks. Modell dazu stand der Bildhauer Richard Scheibe, mit dem er das Atelier teilte und der ihm Ratgeber und Freund war. Marcks nahm das klassische, für ihn aber neue Motiv der menschlichen Gestalt sehr ernst. Bis zu drei Stunden täglich zeichnete er Akte und beschäftigte sich am Abend mit Anatomiestudien.

Nachdem sich Gerhard Marcks für ein knappes Jahrzehnt vom Expressionismus hatte beeinflussen lassen, beruhigte sich seine Formensprache ab der Mitte der 1920er Jahre und näherte sich wieder mehr dem Naturvorbild. Sein Blick ist nun auf das antike Griechenland und hier besonders auf die Kunsterzeugnisse der archaischen Zeit bis etwa 480 v. Chr. gerichtet. Sein neues Interesse an diesem Kulturraum schlägt sich nicht nur in der Ausbildung der Volumen nieder, sondern auch in der Ausweitung seines Themenspektrums auf die klassischen Mythen.

1935 reiste Gerhard Marcks nach Rom, wo er für fünf Monate Stipendiat an der Villa Massimo war. Was er dort sah und beobachtete, gefiel ihm nicht. In einer Reihe von Zeichnungen distanzierte er sich von der Mode, sportliche, muskulöse Männer zu porträtieren, die auch die italienische Bildhauerei in den 1930er Jahren bestimmte. Bereits mit der Wahl des Modells stellte er sich somit gegen eine vom Faschismus geprägte Ästhetik: "Aber die Sorte Monumentalität, die Rom gefällig ist, wünsche ich nicht. Die wird s bald auch in Deutschland genug geben", schrieb er an einen Freund.

Mit einem neuen Interesse am Raum und seiner Begrenzung, die in seiner Bronze "Drei Grazien" aus dem Jahr 1957 sichtbar wird, öffnete sich Marcks Tendenzen, die in der Bildhauerkunst der Nachkriegszeit unübersehbar waren. Gleiches gilt für die verstärkte Stilisierung der Figuren, die auf ein Modellé der skulpturalen Oberfläche weitgehend verzichtet. Die Körper erhalten eine sehr lineare, leicht überzeichnete Akzentuierung, die sowohl ihre Grundformen betrifft als auch die Gestaltung der abbildenden Details. Ab den 1960er Jahren runden sich die Volumen wieder und das Modellé wird - besonders bei den weiblichen Figuren - weicher. Im kleinen Format erlaubte sich Marcks überdies einen verspielteren oder auch anekdotischen Zugang zur Komposition.

Die Ausstellung im Gerhard-Marcks-Haus, Am Wall 208, 28195 Bremen, ist dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr geöffnet, Eintritt 3,50 / 2,50 Euro, bis 8. Oktober.

Gerhard Marcks: Pan und Nymphe (Bronze, 1928) (Gerhard-Marcks-Haus)
 
     
     
 
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