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Die Ostertage standen 1924 in Königsberg ganz im Zeichen der Kant-Feiern, die selbstverständlich auch in der überregionalen Presse eine erhebliche Resonanz hatten. Führende Tages- zeitungen wie die "Frankfurter Zeitung", das "Berliner Tageblatt" und die "Kölnische Zeitung" berichteten eingehend, zum Teil sogar mehrfach.
Nachdem am Ostersonntag eine Festsitzung der Deutschen Kantgesellschaft in der Palästra der Albertina stattgefunden hatte und am folgenden Tag das neue Grabmal Kants an der Giebelseite des Doms geweiht worden war, erreichten die mehrtägigen Feierlichkeiten zum 200. Geburtstag des Professors der Philo- sophie Immanuel Kant am Dienstag, dem 22. April 1924, mit einem Festakt der Albertus-Universität im Königsberger Stadt- theater ihren Höhepunkt:
Nach der Begrüßungsansprache des Rektors, den Glückwünschen des Kultusministers Dr. Boelitz, der als berufener Vertreter der preußischen Staatsregierung sprach, der Festrede des Professors der Philosophie an der Albertus-Universität, Dr. Goedeckemeyer, sowie den zahlreichen Grußworten der in- und ausländischen Gäste endete der Festakt mit der Bekanntgabe der Ehrungen. Die Universität Königsberg promovierte dreizehn Persönlichkeiten ehrenhalber. Über diese Ehrungen berichtet eingehend die Morgenausgabe der "Königsberger Hartungschen Zeitung" vom 23. April 1924. Die Dekane der theologischen, juristischen, medizinischen und philosophischen Fakultäten verlasen die Ehren-Promotionsurkunden; für die philosophische Fakultät verkündete Professor Knopp die Ehrenverleihungen:
"Dem Professor der nordischen Archäologie an der schwedischen Universität Upsala, Oskar Almgreen, sei nachzurühmen, daß er von seiner Erstlingsschrift an, allen äußeren Hindernissen zum Trotz, sich der Forschung auf allen Gebieten der nordischen und germanischen Vor- und Frühgeschichte gewidmet und sich oftmals als erprobter Freund deutscher Wissenschaft erwiesen habe;
weiter ernenne die Fakultät zum Ehrendoktor der Philosophie und der freien Künste Fräulein Agnes Miegel, die, festgewurzelt in ostdeutschem Wesen, in ihren Balladen und lyrischen Gedichten reiche Lebensfülle und tiefe Heimatliebe mit meisterhafter Kraft gestaltet habe, in Anerkennung ihrer Bedeutung für das deutsche Schrifttum;
die dritte Ehrung gelte Oberbaurat und Professor Bernhard Schmid, dem unermüdlichen Leiter der Wiederherstellung der Marienburg und Erforscher der Kunstgeschichte des Deutschen Ordens, in Anerkennung seiner Verdienste um die Kunstgeschichte des deutschen Ostens;
schließlich promoviere die Fakultät den Königsberger Juristen und Kantforscher Arthur Wanda, der in nie ermüdender und mit reichen Erfolgen gekrönter Arbeit den Spuren Kants und seiner Zeitgenossen nachgegangen sei und durch wertvolle Editionen biographischer und bibliographischer Aufsätze die Kenntnis von jener bedeutungsvollen Epoche wesentlich erweitert habe, in Anerkennung seiner bleibenden Verdienste um die Geisteswissenschaften." Sodann fährt die Morgenausgabe fort: "Da die Geehrten zum Teil im Saale waren, kam es zu begeisterten Beifallsäußerungen. Besonders herzlich wurde Agnes Miegel gefeiert ..."
Diese Hochrufe hatte an diesem Dienstag schon das Morgenblatt der Hartungschen Zeitung bei der vorgezogenen Bekanntgabe der Ehrendoktoren angestimmt. Nachdem das Blatt die drei anderen Ehrendoktoren der Phi-losophischen Fakultät dem Leser vorgestellt hat, heißt es weiter:
"Vielleicht die allergrößte Freude wird dem geistigen Menschen aber durch die Ernennung Agnes Miegels zum Dr. h. c. bereitet. Eine mutige Tat der Fakultät! Denn es war durchaus noch nicht allgemein, daß ein ‚Unstudierter und dazu noch eine Frau um allgemeiner Verdienste willen den Doktortitel erhält. In diesem Fall konnte freilich ein ernster Zweifel an diesen ‚allgemeinen Verdiensten gar nicht aufkommen. Agnes Miegel ist die bedeutendste Balladendichterin deutscher Zunge und ist als solche schon in jede Literaturgeschichte wie in jedes Schullesebuch eingegangen. Sie gehört trotz (oder wegen?) des geringen Umfanges ihrer Produktion zu den ersten und bekanntesten Dichtern unserer Zeit."
In der Beilage der Ostdeutschen Zeitung, in deren Feuilleton-Redaktion Agnes Miegel seit 1920 tätig war, findet sich nach dem Bericht über den Festakt im Stadttheater mit dem Untertitel "Agnes Miegel Ehrendoktor" die folgende Notiz: "Aus der großen Fülle der Ehrungen, die die Albertina ausgesprochen hat, erfüllt die Promovierung von Agnes Miegel zum Ehrendoktor die Schriftleitung der Ostdeutschen Zeitung mit besonderer Genugtuung. Wir freuen uns von ganzem Herzen, daß unsere verehrte und geschätzte Kollegin mit dieser hohen Ehrung ausgezeichnet worden ist, wissen wir doch, daß in diesem Falle nicht nur Verdienst und Bedeutung gekrönt sind, sondern ein Mensch, der dieses Ehrentitels kraft seines persönlichen Charakters würdig ist. Möge Dr. Agnes Miegel noch lange mit uns zusammen arbeiten und schaffen."
Die Kant-Feiern in Königsberg hatten selbstverständlich in der überregionalen deutschen Presse eine erhebliche Resonanz. Führende Tageszeitungen wie die Frankfurter Zeitung, das Berliner Tageblatt und die Kölnische Zeitung berichten eingehend über die Feierlichkeiten und die Ehrenpromotionen, zum Teil sogar mehrfach. Der Abend-Ausgabe des Berliner Tageblatts vom 23. April 1924 ist zu entnehmen, daß der Festakt im Stadttheater fünf Stunden dauerte. Am übernächsten Tag übermittelt der Königsberger Korrespondent dieser Zeitung dem Leser mit unver- kennbarem Stolz kurze Äußerungen mehrerer ausländischer Gäste über Kant und die Kant-Feier, u. a. des Präsidenten der Staatsuniversität Peking. Nach drei längeren Berichten in Folge über die Königsberger Kantfeier bringt die Kölnische Zeitung in ihrer Abend-Ausgabe am 26. April 1924 schließlich "Nachklänge zur Kant-Feier", um dort auch - so wörtlich - den Jubel über die Ehrung Agnes Miegels zu vermerken.
Agnes Miegel selbst hat die Ehrung zunächst nicht recht genießen können; die Glückwunschschreiben von Ina Seidel und des Professorenehepaares Margarete und Willy Lüttge beantwortet sie erst nach Tagen. Ina Seidel vertraut sie an, sie sei in die Kanttage in einem Zustand körperlicher und geistiger Erschöpfung gekommen, diese habe sie weder denken noch fühlen lassen. Agnes Miegel nennt den beruflich überschweren Winter, eine böse Grippe im Januar, einen dreiwöchigen Hausputz im "Zustand überirdischer Ungemütlichkeit", dazu "im Beruf nichts wie Ärger und Aufregungen" als Gründe, die sie unter dem 15. Mai 1924 auch dem Ehepaar Lüttge mitteilt: erst in den letzten acht Tagen fange sie wieder an, ihre Gedanken zu sammeln. Ina Seidel, die Freundin, hatte ihre Glückwünsche offenbar in Verse gekleidet, denn Agnes Miegel bedankte sich für die "herrlichen Verse und Worte", um sogleich anzufügen, ja so ungefähr fasse sie diese Ehrung auch auf.
Dieser Stolz schwingt auch in ihrem Dank an Professor Lüttge mit, der mit seinen lieben Worten alles besser gesagt habe, als sie selbst im Augenblick ausdrücken könne.
Für den Jubel, den die Verleihung der Ehrendoktorwürde an Agnes Miegel auslöste, hatte Agnes Harder, die Schriftstellerin, schon bei der Rezensierung der "Gedichte und Spiele" (1920) die Erklärung vorweggenommen: "Man liest sie an den Universitäten. Ihre Balladen kommen in die Schulbücher. Die Jugend lernt sie. Erschüttert lauscht ihnen das Publikum in den Vortragssälen."
Tatsächlich hatte Agnes Miegel im Zeitpunkt der Promovierung als Balladendichterin und Lyrikerin längst Eingang in die Standardwerke der deutschen Literaturgeschichte gefunde |
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