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Die meisten Kommentatoren waren sich schnell einig, der Bundespräsident habe eine "große Rede" gehalten am 12. Mai in Berlin. Warten wir´s ab. Solche Urteile sollten lieber erst Jahre später gefällt werden. Fest steht, Johannes Rau hat sich in heiß umkämpftes Terrain begeben.
Einwanderung, Asyl und Integration waren sein Thema. In für den Predigersohn ungewohnter Deutlichkeit räumt Rau hier auch die gewaltigen Probleme und Fehlentwicklungen ein und warnte nicht nur vor Rassismus, sondern auch vor falsch verstandener Ausländerfreundlichkeit. Die Probleme müßten beim Namen genannt werden können, ohne sogleich in den Verdacht der Fremdenfeindlichkeit zu geraten.
Und Probleme gibt es viele, das weiß auch der Bundespräsident: Fast ein Drittel der Schulkinder stamme nicht aus Deutschland, Deutschkenntnisse seien oft unzureichend oder gar nicht vorhanden, stark abweichende kulturelle Eigenheiten machten Lehrern und Mitschülern zu schaffen: "Ich kann verstehen, wenn nicht nur Mädchen und junge Frauen Angst vor Anmache oder Einschüchterung durch ausländische Jugendliche haben", so Rau und fügt hinzu: "Schwer wird das Zusammenleben dort, wo sich manch alteingesessene Deutsche nicht mehr zu Hause fühlen, sondern wie Fremde im eigenen Land." Als einmal der sächsische CDU-Politiker Steffen Heitmann ähnliches sagte, kostete ihn das seine Präsidentschaftskandidatur.
Die "offene Gesellschaft" hebt Johannes Rau zwar als Modell lobend hervor. Doch schwant ihm offenbar, daß das nicht alles sein kann. Man müsse auch etwas Gemeinsames vorweisen können, in das sich Zugewanderte integrieren können, und das könne nicht allein die Ordnung des Grundgesetzes sein. Verfassungspatriotismus sei wichtig, "aber wir brauchen eine gewisse emotionale Gemeinsamkeit darüber hinaus".
Damit hat das Staatsoberhaupt einen Kernpunkt der Misere zumindest berührt, den es dringend tiefer zu ergründen gilt: Mit erheblichem Aufwand auch von offizieller politischer Seite wird den Deutschen ein ziemlich einseitig negatives Bild ihrer (in der Darstellung überdies auf wenige Jahre verkürzten) Vergangenheit präsentiert und das tagtäglich. Die Bereitschaft, sich mit der eigenen Nation, dem eigenen Vaterland zu identifizieren, ist entsprechend verkümmert. Wo aber ein beispielhaft vorgelebter Patriotismus der angestammten Deutschen fehlt, kann bei den Zugewanderten kaum Begeisterung aufkommen für ihre neue Heimat. Darauf näher einzugehen wäre Stoff für Raus nächste Rede. Ein Vorabgespräch mit Martin Walser könnte helfen. So blieb der Bundespräsident hier allzusehr im Appellhaften, Unverbindlichen stecken.
Dies trifft leider auch auf Raus Auslassungen zum Asylrecht zu. Zwar stellt er fest, daß nur vier Prozent der Antragsteller anerkannt werden. Doch will Rau offenkundig nicht am Grundrecht auf Asyl rütteln, ja sogar den "Ermessensspielraum" der Behörden erweitern, um mehr Anerkennungen durchzubringen.
Ein Einwanderungsgesetz solle zusätzlich zum Asylrecht erlassen werden und sich aber immerhin an den eigennützigen Interessen unseres Landes orientieren. In der Praxis jedoch hieße dies nach aller Erfahrung: Wer die offizielle Einwanderung nicht schafft, braucht bloß "Asyl" zu sagen und kann trotzdem hereinkommen.
Euphorisch beschreibt Rau die Rolle der Zuwanderer in Nachkriegsdeutschland: "Ohne die damals so genannten Gastarbeiter hätte die Bundesrepublik nicht den wirtschaftlichen Aufschwung gehabt, den sie tatsächlich erlebt hat." Gemach: Die ersten Italiener kamen ab 1955, die Türken gar erst ab 1960, als die Republik längst zu den führenden Wirtschaftsmächten der Welt gehörte. Und die weit überwiegende Zahl der Ausländer strömte noch weit später ins Land. Also, ohne die Leistung von Gastarbeitern zu schmälern: Wir wollen doch die Relationen wahren!
Beispielhaft für den Umgang mit Minderheitenproblematik und Einwanderung nennt Rau die USA. Clinton habe gerade ein Programm zur Integration der verschiedenen Bevölkerungsgruppen und gegen das Auseinanderfallen der Gesellschaft aufgelegt, Titel: "One America". Der Bundespräsident übersieht allerdings, daß sich dieses Programm schwerpunktmäßig gerade an solche Gemeinschaften richtet, deren Vorfahren oftmals schon vor Generationen, wenn nicht Jahrhunderten in die Neue Welt gekommen waren. Das sagt einiges über die Aussichten und Grenzen! der langfristigen Integration unterschiedlichster Kulturen aus.
Rau ist zugute zu halten, daß er sich redlich bemüht hat, mehr Sachlichkeit in eine hochbrisante Debatte zu bringen. Seine Rede machte jedoch auch sichtbar, daß noch immer zu viele Tabus und Beschönigungen eine wirklich realistische Betrachtung hemmen.
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