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Bundeswehr vor dem Kollaps

 
     
 
Nach dem Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestags hat auch der Beauftragte des Generalinspekteurs für Ausbildung und Erziehung, Brigadegeneral Löchel, seinen Jahresbericht vorgelegt. Beide Berichte, und dies ist bemerkenswert, stimmen in Inhalt und Bewertung weitgehend überein. Beiden gemeinsam ist das negative Urteil über die Stimmung in der Truppe.

Erschreckend in dem Bericht von General Löchel ist vor allem, daß das Vertrauen der Soldaten in die eigene militärische Führung beschädigt ist. Er kritisiert die "Zurückhaltung der Generalität" gegenüber der politischen Führung, die den militärischen Sachverstand offensichtlich nicht in den politischen Entscheidungsprozeß einzubringen vermag.

Auf die Forderung des Autors dieser Zeilen bei einer Tagung
der Clausewitzgesellschaft in Siegburg, die Bundesregierung müsse den Bundeswehrhaushalt erhöhen, wurde er von einem Bundeswehrgeneral kritisiert. Dieser warf dem Redner "Blauäugigkeit" vor, da die Bundesregierung schließlich noch viele andere Aufgaben zu finanzieren hätte. Die Kritik des Generals mag regierungskonform sein, den Vorstellungen der Truppe aber entspricht sie nicht. Sie bestätigt vielmehr die Feststellung des Wehrbeauftragten, daß die Soldaten ihre Führung nicht mehr verstehen.

Deutschland hat eine gute Bundeswehr. Sie wurde allerdings in den letzten Jahren, schon unter Minister Rühe, materiell vernachlässigt. Doch heute ist nicht mehr der Frieden der Ernstfall, wie einst Bundespräsident Heinemann annahm, sondern der weltweite Einsatz unter Kriegsbedingungen. Die Entwicklung der internationalen Lage seit dem 11. September traf die Bundeswehr in der Anfangsphase der größten Umstrukturierung seit 1956. Der Soldat ist leistungsbereit, aber die Armee hat als Folge der Mittelverknappung und des Mißverhältnisses von Mitteln zum Auftrag die Grenze der Leistungs- fähigkeit erreicht, wenn nicht überschritten. Was ist zu tun?

Das verlorengegangene Vertrauen der Geführten zu den politisch und militärisch Führenden muß wiederhergestellt werden. Die unterschiedliche Besoldung von Soldaten derselben Armee in West- und Mitteldeutschland muß beseitigt werden.

Im Führungsstab der Streitkräfte ist das mögliche Bild des "Krieges der Zukunft" zu erarbeiten. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Balkan auf lange Zeit ein Krisenherd bleibt, der deutsche Soldaten weiterhin bindet. Die Lage im Nahen Osten ist explosiv und könnte noch weiter eskalieren. Die ganze Kaukasusregion ist ein Herd der Unsicherheit.

Die im vergangenen Jahr angelaufene Strukturreform muß auf ihre Realisierungsmöglichkeit überprüft und modifiziert werden. Die erkannten Sicherheitslücken sind zu schließen und die Bundeswehr finanziell besser auszustatten. Generalinspekteur Kujat deutete im vergangenen Jahr an, daß es die Pflicht des Generalinspekteurs sei, darauf hinzuweisen, wenn Auftrag und Mittel nicht mehr in Übereinstimmung sind. Jetzt müßte er spätestens handeln. Der gute Ruf des deutschen Soldaten darf nicht durch politische Fehler beeinträchtigt werden. G. H. Komoss
 
     
     
 
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