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Jürgen Seidel gab sich sehr zuversichtlich. „Wir führen in den Umfragen“ verkündete er vor der Hauptstadtpresse. Das ist gerade mal drei Wochen her. Der 58jährige CDU-Spitzenkandidat und Landrat im mecklenburgischen Waren/Müritz war eigens nach Berlin gekommen. Gemeinsam mit Parteifreund Friedbert Pflüger berichtete er von seinen Erfolgen im Wahlkampf. (Pflügers Prognosen hinsichtlich seiner eigenen Aussichten klangen schon damals weniger optimistisch.) Seidels CDU lag mit 33 Prozent vor der SPD, die auf 29 Prozent kam. Die Linkspartei war bei 22 Prozent festgenagelt.
Die rot-rote Schweriner Landesregierung plakatiere „Erfolg fortsetzen“, berichtete Seidel empört. Und das trotz der großen Unzufriedenheit im Land. 87 Prozent nennen die Arbeitslosigkeit (Arbeitslosenrate 18,1 Prozent) als größtes Problem. Die Regierung sei unfähig, so Seidel. „Rot-rot will Schlüsseltechnologien verstaatlichen und vergießt Krokodilstränen, wenn BMW sich dann entscheidet, nicht nach Mecklenburg-Vorpommern zu kommen.“
Thema Bildung: Hier setzt die Union auf das Motto „Bildung statt Schulsterben“. Seidel sprach vom Bildungschaos. Schule solle wieder auf das wirkliche Leben vorbereiten. Es dürfe nicht sein, daß über 20 Prozent der Schulabgänger keinen Abschluß hätten, weil sie die Schule abbrechen.
Befeuert von all den Problemen sah sich der CDU-Spitzenmann schon auf der Zielgeraden zum Machtwechsel. Inzwischen hat sich die Stimmung in Seidels Bundesland gedreht. Verärgerung über die CDU-geführte Bundesregierung macht sich breit. Und das wirkt sich jetzt auch auf die Landtagswahlprognosen in Mecklenburg-Vorpommern aus. Vergangene Woche wurden zwei Umfragen veröffentlicht, von denen eine die SPD vorn sieht. Laut „Infratest dimap“ wollten 31 Prozent SPD, 30 Prozent CDU und 23 Prozent Linke/PDS wählen, „Emnid“ immerhin sah die CDU noch mit 31 Prozent gegenüber 28 (SPD) und 23 (PDS) klar als stärkste Partei.
In Schwerin kursieren Spekulationen, daß die SPD den Koalitionspartner nach der Wahl austauscht. Bis Wochenbeginn hatten sich die SPD-Genossen nicht festgelegt. So scheint eine Große Koalition wie vor 1998 plötzlich wieder möglich.
Das Ende der ersten rot-roten Koalitionsregierung auf Landesebene wäre ein herber Rückschlag für die Linkspartei. Allerdings wird Ministerpräsident Harald Ringstorff wohl nur dann die CDU ins Boot holen, wenn sie schwächer ist als die SPD und nicht seinen Posten fordert.
Das Land Mecklenburg-Vorpommern hängt am Tropf des Bundes und der anderen Länder. Egal, welche Partei nach dem 17. September den Regierungschef stellt – daran wird sich nicht viel ändern.
Die Region ist wie kaum eine andere in Deutschland vom Bevölkerungsschwund betroffen. Das Land hat ohnehin schon die niedrigste Siedlungsdichte der Republik, massive Abwanderung und eine Geburtenrate von nur 1,25 Kindern pro Frau sorgen für weitere Auszehrung. 1990 hatte das Land noch fast zwei Millionen Einwohner. Jetzt sind es gerade 1,7 Millionen. Ausgehend vom Jahr 2000 wird die Zahl der Erwerbstätigen bis 2020 um über 14 Prozent sinken, besagt eine Prognose.
In ihrem Wahlprogramm versucht die CDU, das beste aus der Misere zu machen: „Aufgrund des immer weiter sinkenden Anteils junger Menschen in unserer Bevölkerung sind wir in den kommenden Jahren darauf angewiesen, die Erfahrungen älterer Arbeitnehmer stärker als bisher zu nutzen.“ Die SPD räumt offen ein, daß ihre Politik die Menschen nicht halten konnte und gibt resigniert zu: „Gerade junge Menschen haben Ostdeutschland verlassen, um anderswo eine berufliche Perspektive zu suchen.“
Mit genau diesen Problemen hat auch Kathrin Knuth zu kämpfen. Sie ist Landrätin in Seidels Nachbarkreis. Ihr Mecklenburg-Strelitz-Kreis hat „nur“ fünf Prozent seiner Einwohner zwischen 1990 und 2004 verloren. Zwischen 2001 und 2020 wird aber ein Rückgang von 21 Prozent vorhergesagt.
In einem weiteren Kreis der Umgebung beträgt der Rückgang „nur“ 20 Prozent. Mecklenburg-Strelitz profitiert nämlich von Einwohnern aus Neubrandenburg, die ins Umland ziehen.
Kathrin Knuth muß den kommenden Bevölkerungsschwund bewältigen. Mecklenburg-Strelitz hat noch 84000 Einwohner „und 380 Seen“, wie sie sagt. „Wir leben da, wo andere Urlaub machen“, sagt sie trotzig. Es klingt wie eine Durchhalteparole
Die Zahl der Schüler in Mecklenburg-Strelitz ist allein von 1996 bis 2006 von 13560 auf 7400 zurückgegangen. Die Zahl der Berufsschüler wird von 2001 bis 2011 von 17000 auf etwa 5500 schrumpfen, lautet die Voraussage. Die Folgen sind klar: Schulschließungen. Aber das ist den betroffenen Bürgern nur sehr schwer zu vermitteln. Abhilfe wird nur private Initiative schaffen können. Als Reaktion auf das Schulsterben hat auf dem Land bereits eine Gründungswelle von Privatschulen eingesetzt. |
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