A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z
     
 
     
 

Chiracs strapaziöse Reisen

 
     
 
Seit Anfang Juli führt die Pariser liberale Tageszeitung "Le Monde" eine heftige Pressekampagne gegen Staatschef Jaques Chirac. Grund dafür: die kostspieligen Reisen, die Chirac zwischen 1992 und 1995 als Pariser Oberbürgermeister gemacht hat, und die Herkunft des dafür notwendigen Geldes. Die Untersuchungsrichter, die im Falle der im Schulwesen veruntreuten Geldsummen ermitteln, scheinen den Verdacht zu haben, daß die Reisen von Chirac und den ihm Nahestehenden durch diese Unterschlagungen finanziert wurden.

Anläßlich des National
feiertages am 14. Juli wurde – ganz selbstverständlich, da in Frankreich diese neuerdings erschienene Affäre für Schlagzeilen sorgt – Chirac von drei Journalisten darüber intensiv befragt. Er antwortete einfach, er hätte das Ganze mit Hilfe von Geheimfonds, die er zuvor als Premierminister kassiert hatte, bezahlt. Die Minister und der Regierungschef bekommen nämlich in Frankreich Geldmittel aus den Geheimfonds, für sie und ihre Kabinettmitglieder, als Vergütung für ihre "strapaziöse Tätigkeit und ihre Überforderung", wie es in der offiziellen Begründung dieses Finanzmodells heißt.

Laut einer nach der Ansprache erfolgten, von der christdemokratischen Tageszeitung "La Croix" veröffentlichten Umfrage konnte Chirac die Franzosen von seiner Unschuld nicht überzeugen, obschon die ganze Affäre als zweitrangig im Vergleich zu dem Problem der alltäglichen inneren Sicherheit erscheint. Die Presse ist an der Seine wie in zahlreichen europäischen Staaten vom Traum einer sanften Sozialdemokratie erfüllt und durch die Anhänger von Jospin entsprechend eingestimmt, so daß der französische Durchschnittsbürger eher gelassen die Angriffe der Medien gegen die konservativen Politiker in Kauf nimmt.

Auf jeden Fall bleiben Chirac und Jospin die Favoriten des zweiten Wahlgangs der Präsidentschaftswahl und stehen in der Gunst der Bevölkerung derzeit mit jeweils 50 Prozent für die Stichwahl gleichauf. Keiner von beiden, weder der Staatspräsident noch der Regierungschef, hat bislang seine Bewerbung bekanntgemacht.

In der präzisen Frage der Reisekosten des Staatschefs und seiner Umgebung, darunter auch seine Frau und seine Tochter, die zugleich Kommunikationsbeauftragte des Elysee-Palastes ist, sind mehrere Zahlen im Umlauf. Man sprach zunächst von 2,4 Millionen Francs (circa 700 000 Mark), was Chirac als höchst übertrieben einschätzte. Die Chiracianer setzen die Summe auf 600 000 Francs, während "Le Monde" nun einen Gerichtsexperten zitiert, der den Gesamtbetrag auf 2,8 Millionen Francs beziffert. Alles wurde in bar bezahlt.

Aufgrund eines Beschlusses des französischen Verfassungsrates, der 1999 entschied, daß der Staatspräsident wegen vor seinem Amtsantritt begangener Taten unanfechtbar ist, haben sich die drei mit dieser Affäre befaßten Untersuchungsrichter als unzuständig erklärt, was die Staatsanwalt-schaft beim Pariser Landgericht nicht hinderte, ein Berufungsverfahren gegen die Entscheidung der Untersuchungsrichter einzuleiten. Der Chef dieser Staatsanwaltschaft, Jean-Pierre Dintilhac, war Kabinettsdirektor eines Justizministers unter Francois Mitterrand gewesen und beharrt darauf, daß Jacques Chirac vernommen werden muß.

Während Gaullisten und Sozialisten über die Politisierung der Justiz und des hohen Richteramts polemisieren, wirft die Affäre ein grelles Licht auf die Frage der Geheimfonds. Diese Fonds wurden 1946 am Anfang der Vierten Republik vom Parlament beschlossen und blieben seitdem unberührt. Für das Jahr 2001 betragen sie 393 Millionen Francs, davon 234 Millionen für den französischen Geheimdienst ("Direction Générale de la Sécurité Extérieure"). Der Außenminister bekommt zudem 2 Millionen Francs, der Staatschef 24 Millionen und der Regierungschef 133 Millionen. Obgleich das Gesamtpaket jedes Jahr mit dem Haushalt vom Parlament beschlossen wird, teilte Lionel Jospin mit, er habe den Präsidenten des Obersten Rechnungshofs mit einer Reform der Geheimfonds beauftragt. Insofern könnten die gegenwärtigen Probleme des Staatschefs etwas Licht in das undurchsichtige Leben des französischen Staates einbringen. Mag sein. 

 
     
     
 
Diese Seite als Bookmark speichern:
 
     
     
     

     
 

Weitere empfehlenswerte Seiten:

Der erste operationelle Strahlbomber

Versöhnung in der Heiligen Nacht

Der Mensch und das Pferd

 
 
Erhalten:
 

 

   
 
 
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
WISSEN48 | ÜBERBLICK | THEMEN | DAS PROJEKT | SUCHE | RECHTLICHE HINWEISE | IMPRESSUM
Copyright © 2010 All rights reserved. Wissensarchiv