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Zehn, zwanzig Paar Schuhe im Schrank einer Frau das soll ja nicht ungewöhnlich sein, und so mancher Mann weiß ein (Klage-) Lied davon zu singen. Über 1500 Schuhe (Paare und Einzelstücke) allerdings, und das bis unters Dach eines Zwei-Familien-Hauses das hat Seltenheitswert. Und überhaupt: diese Schuhe gehören keiner putzsüchtigen Frau, sondern einem Mann, den die Sammelleidenschaft gepackt hat: Ernst Tillmann, der am 23. Juli 1923 in Schippenbeil geborene Ostpreuße, nennt die wohl umfangreichste private Schuhsammlung sein eigen.
Angefangen hatte alles bei einem Flohmarktbesuch im Oktober 1962. Eigentlich hatte er gar nicht vor, ausgerechnet Schuhe dort zu kaufen, schließlich hatte er es als Schuhmacher tagtäglich mit "Tretern" aller Art zu tun. Dann aber entdeckte er ein Paar Damen-Schnürstiefel aus der Zeit um die Jahrhundertwende, und es war um ihn geschehen. Der Grundstock für seine beeindruckende Sammlung war gelegt.
In bald 40 Jahren kamen die kostbarsten und seltsamsten Stücke aus aller Herren Länder nach Viersen in den Äquatorweg 10, wo Tillmann heute lebt. Sein ältestes Stück ist eine Römer-Sandale aus dem 2. Jahrhundert. Aber auch Stelzsandalen aus der Türkei, reich verziert mit Türkisen und Perlmutt-Intarsien und Glöckchen, die dem Ehemann anzeigten, wo sich seine Frau gerade befand, ein 25 Pfund schwerer Taucherschuh mit Bleigewichten, ein zarter Damenschuh aus der Zeit um 1830 von nur 98 Gramm, Cowboystiefel, Schuhe mit Sohlen aus Pappe, Holz oder Gummi aus Notzeiten oder Schuhe mit Plateausohle aus den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts, die zu halsbrecherischen Gehversuchen herausforderte sie alle erzählen ein Stück Kulturgeschichte.
Zu jedem seiner Sammlungsstücke kann Tillmann eine Geschichte erzählen. "Man kann den Schuhen ablesen, ob die Zeiten gut oder schlecht oder ob ihre Besitzer reich oder arm waren", sagt er. Auch über die Kulturgeschichte des Schuhs weiß der Ostpreuße Bescheid. So haben die "alten Römer" schon unterschiedliche Schuhe für den rechten oder linken Fuß gehabt; dann aber wurden über Jahrhunderte Schuhe nur über einballige oder symmetrische Leisten gearbeitet (Opanken), bis Ende des 19. Jahrhunderts wieder verschiedene Leisten verwendet wurden. Die hohen Absätze sind keineswegs eine Erfindung der Damenwelt; Soldaten waren es, die ihre Stiefel erhöhten, um dem Feind zu imponieren. Hohe Absätze, rundherum um die Sohle gruppiert, halfen darüber hinaus, unbeschadet durch schlammige Straßen zu gehen. Spitze Schuhe, der Damenwelt von der Mode auch zu unseren Zeiten hin und wieder vorgeschrieben, gab es schon im alten China; allerdings wurden kleine Mädchen dazu gezwungen, sie zu tragen (wobei man ihnen die kleinen Zehen unter die große Zehe band und so die Füße zierlich verkrüppeln ließ).
Viele seiner Kostbarkeiten muß Ernst Tillmann erst einmal wieder "auf Vordermann" bringen. Mit sicherer Hand und ebenso sicherem Gespür repariert und restauriert er so manches Stück, bevor es in seine Sammlung kommt. Kein Problem für Ernst Tillmann, stammt er doch aus einer alten Schuhhändlerfamilie. Sein Großvater Rudolf Tillmann gründete bereits 1880 in Schippenbeil ein Schuhgeschäft, das später seine Eltern führten. Bei Baering in Elbing lernte Ernst Schuhkaufmann, schließlich wollte er das Familiengeschäft übernehmen. Der Krieg jedoch machte alle Träume zunichte. Nach der Gefangenschaft nahm Tillmann eine Lehre als Schuhmacher auf, machte die Gesellenprüfung und arbeitete als Handelsvertreter. Sein Wissen war gefragt. Über 27 Jahre lang war der Ostpreuße auch als vereidigter Schuhsachverständiger tätig.
Schuhe sind sein Leben, möchte man ausrufen und kann die Begeisterung vor allem dann verstehen, hat man einmal Gelegenheit, zumindest Teile der Sammlung zu bestaunen. Vom 15. Mai bis Mitte August sind sie auf Schloß Homberg im Oberbergischen Land ausgestellt, ab 14. Juli in Frankreich bei Nantes, im Dezember in der Stadtsparkasse Wuppertal. Geplant ist auch, einen Teil der Sammlung während des 650jährigen Bestehens von Schippenbeil (29. Juni bis 1. Juli) zu zeigen. Das Fernsehen (zuletzt der MDR), aber auch Zeitungen in Deutschland und selbst in Polen haben über den rührigen Ostdeutschland und seine Sammlung bereits berichtet, über einen Mann, der meilenweit gehen würde für ein Paar ausgefallene Schuhe. Peter van Lohuizen
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