|
Tröstende Worte kamen ausgerechnet von der Konkurrenz: Edmund Stoiber, gemeinhin einer der schärfsten Kritiker rot-grüner Regierungspolitik, zeigte sich angesichts der Identitätskrise der Sozialdemokraten zutiefst besorgt. Treibende Kraft war freilich nicht Mitleid mit dem politischen Gegner, sondern die durchaus berechtigte Befürchtung, ein weiteres Ausfransen der traditionsreichen Volkspartei SPD könne die Stabilität Deutschlands insgesamt gefährden.
Konkret meinte der CSU-Vorsitzende damit wohl das in über einem halben Jahrhundert gewachsene Parteiengefüge: Wenn die eine Volkspartei sich quasi selbst auflöst, kann die andere nicht sicher sein, auf alle Zeiten einem ähnlichen Schicksal zu entgehen. Zumal die Union nicht auf fast eineinhalb Jahrhunderte Parteigeschichte zurückblicken kann, sondern gerade einmal sechs Jahrzehnte.
Berechtigt sind die Sorgen des bayerischen Ministerpräsidenten allemal. Seit der Bundestagswahl von 2002 hat die SPD - mit einer Ausnahme: Bremens Henning Scherf - von Wahl zu Wahl immer neue Minusrekorde aufgestellt. In bundesweiten Umfragen wird bereits die 20-Prozent-Marke gestreift. Zugleich laufen der Partei die Mitglieder davon; allein im letzten Jahr lag der Schwund bei 6,1 Prozent. In den fünf neuen Bundesländern ist die SPD bereits weitgehend zur Randgruppe mutiert; insgesamt zählt sie hier mit 25.000 Mitgliedern noch 5.000 weniger als im Saarland allein.
Bedrohlich ist auch die Überalterung des verbleibenden Mitgliederbestands. Vor zehn Jahren waren 26 Prozent der SPDler über 60, heute sind es bereits 42,2 Prozent. Ähnlich der Trend bei der Union: von 31,7 auf 45,7 Prozent. Hier werden die beiden Volksparteien allerding noch von der PDS übertroffen: Bei der Partei der Ewiggestrigen haben die Senioren die Zweidrittelmehrheit.
Der Mitgliederschwund ist bei der CDU mit 1,2 Prozent nicht ganz so dramatisch. Das liegt aber nur daran, daß die Union derzeit nicht für die Bundespolitik verantwortlich gemacht wird. Nach einem Regierungswechsel in Berlin könnte sich das aber schnell ändern; sowohl bei den Mitglieder- wie bei den Wählerzahlen müßten Merkel und Stoiber mit ähnlichen Auflösungserscheinungen rechnen wie jetzt Schröder und Müntefering.
So hat die Unionsspitze keinen Anlaß zur Schadenfreude. Der wahlberechtigte Bürger allerdings darf sich schon fragen, ob er dem heutigen Parteiensystem wirklich nachtrauern sollte. Gewiß war es in den ersten Aufbaujahren gut für das Land, daß starke Volksparteien politische, wirtschaftliche und soziale Stabilität garantierten. Aber gilt das heute noch? Repräsentieren diese Parteien wirklich noch das Volk? Haben sie sich nicht längst dieses Staates bemächtigt, bedienen sich seiner, als sei er ihr Eigentum? Mehr Parteienvielfalt, nicht nur links, sondern auch rechts - wenn der Trend dahin geht, braucht man sich vielleicht doch nicht so große Sorgen zu machen. Juliane Meier
Links ab ins Abseits: Einsam flattert die Fahne der SPD unter dem Himmel von Berlin - vielleicht auch ein Symbol für den Niedergang der traditionellen Volksparteien.
|
|