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Erst vor wenigen Wochen zeigte das Edwin-Scharff-Museum in Neu-Ulm eine Ausstellung mit mehr als 90 Kleinplastiken aus einer süddeutschen Privatsammlung. Und die "kleinplastik bildhauergalerie" von Gertraude Zebe in der Berliner Grolmannstraße hat sich sogar in ihrem ganzen Konzept diesen kleinsten Kunstwerken gewidmet. Nun hat sich das Bremer Gerhard-Marcks-Haus mit der Ausstellung "Kleiner als klein - Miniaturplastik von 1900 bis zur Gegenwart" dieses Themas angenommen.
Was dort zu sehen ist, erstaunt natürlich erst einmal durch die Größe, besser durch die überaus kleinen Formate. Ein Selbstbildnis der 1888 im schlesischen Glatz geborenen Bildhauerin Renée Sintenis (sie schuf übrigens das Vorbild für den berühmten Goldenen Bären, der alljährlich auf den Berliner Filmfestspielen verliehen wird) ist nur 7,5 mal 5,5 mal 6,5 Zentimeter groß und hat eine Ausstrahlung, der man sich nicht entziehen kann.
Der Maler Henri Matisse, der auch als Bildhauer arbeitete, hat einmal gesagt: "Je kleiner die Skulptur, um so stärker muß das Wesentliche der Form heraustreten." Und Henry Moore, vor allem bekannt durch seine monumentalen Plastiken, hat festgestellt: "Eine Skulptur kann das Vielfache der Lebensgröße haben und dennoch als kleinlich empfunden werden - eine kleine Skulptur, hinter der eine große Vorstellung steht, vermag das Gefühl des Ungeheuren und Monumentalen hervorzurufen." Und auch der Bildhauer Hans Wimmer, eng befreundet mit Gerhard Marcks, betonte: "Eine Figur ist dann monumental, wenn ihre Komposition auch mit dem flüchtigsten Blicke zu erfassen ist. Sie muß eindeutig, übersichtlich und einfach sein ... Monumentalität hat mit dem Meterstab nichts zu tun. Es gibt Kleinbronzen, in denen die große Figur steckt, und es gibt Briefbeschwerer ..."
In der Bremer Ausstellung sind nun wahrlich keine Briefbeschwerer zu sehen. Auch sind die Kleinplastiken weit davon entfernt, "niedlich" zu sein. Schon gar nicht fühlt man sich an den Nippes erinnert, der in wilhelminscher Zeit die "kalte Pracht" der Wohnzimmer verschönern sollte. In seinen Erinnerungen "Gefilte Fisch" läßt der Königsberger Max Fürst diese Zeit eindrucksvoll wieder auferstehen und erzählt von allerlei Figuren, die sich im elterlichen Wohnzimmer befanden: Kaiser Wilhelm I. und Napoleon III., aber auch Schäfer und Schäferinnen aus Meerschaum.
Weit entfernt vom herkömmlichen Kunstgewerbe sind die Minaturplastiken in der Bremer Ausstellung, die Arbeiten von so berühmten Bildhauern wie Richard Scheibe, Ewald Mataré, Gerhard Marcks, Alberto Giacometti, Georg Kolbe, Wilhelm Gerstel, Hugo Lederer oder August Gaul vereint.
Nicht immer haben sich die Künstler dem kleinsten Format aus freien Stücken zugewandt. Wilhelm Gerstel zum Beispiel sah sich in französischer Gefangenschaft, in die er im Ersten Weltkrieg geriet, gezwungen, aus der Not eine Tugend zu machen. Aus Zeltpflöcken schnitzte er bis 1920 vermutlich mehr als 70 Figuren, die nicht größer als 13 Zentimeter waren, darunter Aktfiguren, aber auch eine Fortuna, die auf einer Kugel balanciert. Peter van Lohuizen
Die Ausstellung im Bremer Gerhard-Marcks-Haus, Am Wall 208, ist dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr geöffnet, bis 20. August, Eintritt 3,50 / 2,50 Euro.
Alfred Lörcher: Strumpfanziehende (Bronze, 1952, 7 x 5 x 3 Zentimeter, im Besitz der Staatlichen Kunsthalle Mannheim) |
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