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Es war reiner Zufall, daß sie sich begegneten. Barbara fuhr nach Hause, als kurz vor der Stadt ihr Wagen streikte. Seufzend stieg sie aus und klappte die Motorhaube auf. Ihre Rede war ganz undamenhaft und auch so laut, wie es sich für eine 26jährige Lehrerin einfach nicht gehörte. Aber ihr ging jedes technische Verständnis für die vielen Kabel und Drähte ab. Ärgerlich rüttelte sie an der streikenden Maschinerie.
„Der Tag ist viel zu schön, um sich über ein bockiges Vehikel aufzuregen!“
Barbara hatte das Kommen des Helfers gar nicht bemerkt. Mit dem tiefbraunen, kantigen Gesicht, aus dem die von vielen winzigen Fältchen umgebenen grauen Augen ihr heiter entgegensahen, war er Barbara auf den ersten Blick sympathisch. Er trug halbhohe Wanderschuhe und hatte die kieselfarbige Jacke lässig über die Schulter gelegt. Hilfsbereit beugte er sich nun über den Motor. Er prüfte und hantierte.
„Starten Sie mal!“ rief er schließlich. Artig begann der Motor zu schnurren.
Erleichtert atmete Barbara auf. „Das ist ja großartig! Wie kann ich Ihnen danken?“
Der Mann deutete nach oben auf die dunklen Regenwolken. „Es wird gleich ungemütlich werden. Wenn Sie mich vielleicht in die Stadt mitnehmen wollten? Aber nur dann, wenn Sie auch meine Einladung zu einem anschließenden Kaffee annehmen!“
Das war vor drei Tagen gewesen. Und für heute hatte sich Barbara mit Rolf, ihrem Kavalier der Straße, um 17 Uhr am Busbahnhof verabredet. Sie wollten ein bißchen bummeln, ein Eis essen oder vielleicht ein Gläschen Wein trinken. Beim Kaffee neulich hatte Rolf viel erzählt, auch daß er seit drei Jahren Witwer sei. Aber Barbara schwebte seltsamerweise auf einer unsichtbaren rosaroten Wolke hoch über der Erde, so daß sie manches seiner Worte überhört oder gleich wieder vergessen hatte.
Prüfend betrachtete Barbara ihr Spiegelbild. Sie lächelte zufrieden. Nur das Haar müßte noch etwas flotter frisiert werden. Es war Eile geboten, schließlich wollte sie pünktlich zur Verabredung erscheinen. Mit raschen Schritten steuerte sie dem Friseursalon zu.
Aber da – weinte nicht ein Kind? Barbara bückte sich und legte zärtlich ihre Hand auf den blonden Lockenkopf eines etwa sechsjährigen Mädchens. „Was hast du denn, Kleines?“ fragte sie besorgt.
Das Schluchzen verstärkte sich. „Ich habe mein Geld verloren“, brachte das Mädchen mühsam unter Tränen hervor.
„Wir werden es ganz bestimmt wiederfinden! Ich helfe dir suchen“, beruhigte Barbara die Kleine. „Wieviel war es denn?“
Langsam versiegten die Kindertränen. „Fünf Euro. Ich habe das Geld ganz allein gespart. Ich wollte davon Blumen für meine neue Mutti kaufen. Papi hat es mir erlaubt. Aber nun ...“ Jetzt war das Mädchen wieder den Tränen nahe.
Behutsam zog Barbara das Kind an sich. „Wir werden schon einen Weg finden“, tröstete sie. Die Kleine sah sie erwartungsvoll an.
Barbara mußte jetzt ganz schnell handeln. Sie dachte an den Friseursalon und an das Rendezvous mit Rolf. Zum Suchen blieb keine Zeit. So sagte sie entschlossen: „Wir beide werden jetzt Blumen kaufen! Einverstanden?“ Dabei deutete sie auf den Blumenladen dort an der Ecke. Die warme Kinderhand schob sich vertrauensvoll in ihre.
Für fünf Euro, die sie nun auslegte, kann man gewiß keinen kompletten Blumenstrauß erwarten. Kurzerhand wählte Barbara fünf Nelken, etwas Grünzeug gab die freundliche Floristin dazu. Und bald waren sie wieder auf dem Gehsteig. Die Kinderaugen leuchteten glücklich.
„Nun muß ich mich aber beeilen! Gib gut auf dich acht, Kleine!“ rief Barbara noch im Weggehen.
Gottlob hatte sie beim Friseur nicht lange warten müssen; der Uhrzeiger rückte schon gemächlich auf 17 Uhr zu, als sie endlich den Busbahnhof erreichte. Sie schlängelte sich durch die wartenden Menschen und hielt immer wieder Ausschau nach Rolf.
Dort drüben, an der Telefonzelle konnte sie ihn erkennen. Barbara winkte freudig und eilte ihm entgegen. Aber was war das? Vor ihm stand ein kleines Mädchen, das einen kleinen, rosa leuchtenden Strauß in den Händen hielt. Die fünf Nelken kamen Barbara doch sehr bekannt vor! Was hatte noch die Kleine gesagt: „Blumen wollte ich kaufen für meine neue Mutti ...!“
Da mußte Barbara erst einmal tief Luft holen, ehe sie ihren Rolf begrüßen ging.
Sie hatte manches seiner Worte überhört
Aber wer stand dort vor ihm? |
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