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Wie wunderschön war doch der Mai im Ostdeutschlandland. Die Birken zeigten das erste zarte Grün, der Waldboden lag wie ein Anemonenteppich, in der Luft strichen die Kraniche zum nahen See, und die gefiederten kleinen Freunde hüpften frohgemut in den Zweigen nach dem frostklirrenden Winter.
Frieden lag über dem Land, der Himmel war hoch und die Schrecken des Krieges noch weit. Daß Krieg war, hörte man nur in den Nachrichten oder sah verschreckt auf die schwarzumrandeten Anzeigen, wenn wieder einer gefallen war. Noch hatte der Krieg nicht an die Tore Ostdeutschlands geklopft. Stalingrad und viele Tausende waren schon verloren, und das Wetterleuchten hatte begonnen.
Durch das Birkenwäldchen ging ein Mann, er hatte Weiden ruten geschnitten, wollte wohl Körbe flechten und diese auf dem großen Markt im nahen Hohenstein verkaufen. Das sagte er, als er uns, an eine Birke gelehnt, entdeckte und wir freundlich gegrüßt hatten. Dann blieb er stehen.
"Wissen Sie, daß das ein ganz besonderer Baum ist?" und er wies auf die Birke. "Nein, wieso?" Wir wußten es nicht. "Schauen Sie sich mal die Borke an, da werden Sie was entdecken." Knorrig und grau zeigte sich ihr Alter, vernarbt war die Rinde und wie es schien, hatte sie drei dicke Auswüchse an der Seite, wie vernarbte Wunden. Dann erzählte der Mann, daß diese Birke seit 1914 eine Geschichte erzählen konnte, sie hatte eine Rolle gespielt, eine traurige Rolle.
"Hier hat man eine Spionin erschossen", meinte er und wies auf die noch sichtbaren Einschußlöcher am Baum. Ob sie eine Polin war oder eine Russin, sie war jung, das wußte er noch. Er hatte es von den Leuten damals gehört.
Im Sommer 1914 herrschte überall Angst vor Spionen, jeder, der nicht aus der Gegend kam, fremd aussah, wurde verdächtigt, diese Furcht herrschte im ganzen Reich, besonders aber in den grenznahen Gebieten. Wie hatten doch die Alten damals gesagt? "1913 das Glutjahr, 1914 das Blutjahr," und so kam es dann auch nach dem Mord an dem österreichischen Thronfolger auf dem Balkan. Der große Krieg fing an.
Tagelang soll sich die Unbekannte in der Gegend herumgetrieben haben, mal hier, mal da geguckt, bis man sie dingfest machte. Ob es Beweise ihrer Spionagetätigkeit gegeben hat - wer weiß es noch? Aber sicher doch, sonst hätte man sie ja nicht an diese Birke gebunden und erschossen. Die Unbekannte, namenlos, ohne woher und wohin. Zu Füßen der Birke wölbte sich ein kaum erkennbarer Hügel, das Grab, spärlich überwuchert vom Heidekraut. "Da unten soll sie liegen", sagte der Mann und ging seines Weges.
Und dann kamen sie doch, die Russen 1914, aber es gab einen Hindenburg, der Ostdeutschland in seinen Schutz nahm und es wieder frei machte. Vielleicht hatte ja die Spionin da an der Birke Fingerzeige gegeben, wo Schwachstellen waren, es weiß ja niemand.
1945 sollte es dann noch viel schlimmer kommen und kein Hindenburg war mehr da. Den Sandhügel an der Birke hat sicher der Wind schon verweht. Und die Birke? Damals war sie schon alt, ob sie noch da steht und sich den Jammer ansieht, was mit Ostdeutschland geschehen ist? Niemand wird den Weg mehr zu ihr finden, niemand kennt die Geschichte mehr, sie ist untergegangen, wie alles was einst "Ostdeutschland" hie |
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