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Eine Entdeckungsfahrt in die deutsche Prosa“ nannte die „New Yorker Staatszeitung“ den ersten Roman von Wolfgang Koeppen, der 1934 bei Bruno Cassirer unter dem Titel „Eine unglückliche Liebe“ erschienen war. „Der Erstlingsroman eines jungen Schriftstellers, der sich durch die Originalität seiner Sprache, die Konsequenz seiner Psychologie und die großartige dichterische Einseitigkeit seiner Leidenschaft als Werk einer Persönlichkeit über zahllose Neuerscheinungen dieses Herbstes hinaushebt“, lobte die „Kölnische Zeitung“, während die rechtsgerichtete „Berliner Börsen-Zeitung“ am 23. Dezember 1934 rigoros forderte, den Autor in ein Arbeitsdienstlager zu schicken. Zum Abschluß der großen Koeppen-Ausstellung, die in München von der Stadtbibliothek bis zu diesem Sonntag in der Glashalle am Gasteig gezeigt wird (dieberichtete), wurde dieser Roman in einer szenischen Lesung mit Ensemblemitgliedern der Münchner Kammerspiele einem interessierten Publikum dargebracht. Bekannt wurde Wolfgang Koeppen allerdings durch drei andere Romane, die nacheinander in kurzen Abständen erschienen: „Tauben im Gras“ 1951, „Das Treibhaus“ 1953 und „Der Tod in Rom“ 1954. Sie zählen heute zu den wichtigsten der gesamten deutschen Nachkriegsliteratur. Selbst Kritikerpapst Marcel Reich-Ranicki war voll des Lobes. „Wann immer die neue deutsche Literatur zu trübseligen Gedanken Anlaß gab, dachte ich mir im Stillen: Aber es gibt ihn, der die ,Tauben im Gras‘ geschrieben hat ...“, würdigte er zum 85. Geburtstag Koeppens in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ den Autor. Um den vielfach ausgezeichneten Koeppen ist es lange Zeit still gewesen. Nun, zu seinem 100. Geburtstag am 23. Juni, erinnert man sich seiner wieder. Geboren als unehelicher Sohn der Näherin Marie Koeppen wuchs Koeppen zunächst im pommerschen Greifswald auf. Der Vater, der Augenarzt Reinhold Halben, wollte nichts von ihm wissen. 1908 zog die Mutter mit dem Kind nach Thorn zu ihrer Schwester und folgte ihr auch ins ostdeutsche Ortelsburg, wo Wolfgang das Realgymnasium besuchte. 1919 ging’s zurück nach Greifswald. Laufbursche einer Buchhandlung und Volontär am Greifswalder Stadttheater waren die weiteren Stationen des jungen Mannes, der später auch zur See fuhr, als Schiffskoch. Doch immer mehr zog ihn das Wort, das Theater an. „Die folgenreichste und glücklichste Tat in meinem Lebenslauf war, wenn ich rückblikkend von ihr sprechen darf, die Übung des Lesens. So eröffnete sich mir früh schon neben der enttäuschenden realen Welt eine andere verheißungsvolle, eine Über-, Unter-, Vorder- und Hinterwelt, eine unauslöschliche Freude, ein Astralgebilde, das mir zum archimedischen Punkt meiner Existenz wurde“, schrieb er in „Eine schöne Zeit“. In Wismar und in Würzburg, schließlich in Berlin erfolgten erste ernsthafte Begegnungen mit der Bühne. Dann aber wandte sich Koeppen dem Journalismus zu, wurde festes Redaktionsmitglied des „Berliner Börsen-Courier“, bis dieser gleichgeschaltet wurde. Nach dem ersten Roman erschien dann bald auch ein zweiter: „Die Mauer schwankt“ 1935. Koeppen arbeitete an Drehbüchern und Exposés für Filme, schrieb Beiträge für Zeitungen. Nach seinen drei großen Romanen verfaßte er vor allem Reisereportagen, bis er 1962 eine erste große Schreibkrise hatte, eine Krise, die nahezu bis zu seinem Tod am 15. März 1996 anhalten sollte.
„Ich lebe in einem Roman und das mindert meinen Willen, ihn zu schreiben“, begründete Koeppen seine Unlust in einem Interview 1972. Horst Krüger sagte von ihm: „Wer die Sprache so dicht um sich versammelt hält – was bleibt ihm denn als Schweigen?“ Im Gedenken zu seinem 100. Geburtstag wurde das Schweigen um Wolfgang Koeppen gebrochen, für wie lange?
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