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Der Königsberger Express berichtet in der Ausgabe von diesem Monat, daß der russische Kulturminister Michail Schwydkoj während seines Besu-ches des Königsberger Gebietes zu Beginn letzten Monats den Wiederaufbau des Königsberger Schlosses in Aussicht gestellt hat. "Man soll prüfen, was der Wiederaufbau des Schlosses kosten mag. Wir wollen die gleiche ‚kollektive Baumethode anwenden, die sich seinerzeit beim Wiederaufbau der Warschauer Altstadt gut bewährt hat. Das heißt, neben den Finanzen aus dem Föderalhaushalt müssen auch Spenden aus anderen Ländern herangezogen werden." Man wolle Königsberg, so der Politiker weiter, "zu einer kulturell hochentwickelten Stadt machen, die sich ihrer 750 Jahre bewußt ist". - Man lese und staune! Dazu machte die Zeitung Komsomolskaja Prawda ihre Leser noch auf folgende Worte des Kulturministers aufmerksam: "... muß der Zerstörung von Kulturdenkmälern Einhalt geboten werden. Soviel ich weiß, stiehlt man bei Euch sogar Ziegelsteine daraus ..." Soweit ein Auszug aus dieser Zeitung.
Hoffentlich bleibt das nicht wieder eine Absichtserklärung, sondern bedeutet womöglich den Beginn einer Wende im Königsberger Gebiet. Was nach dem Niedergang des Sozialismus seit 1992 im nördlichen Ostdeutschland an Baukultur ohne Sinn und Verstand verbrannt und niedergerissen wurde, ist eine Kulturzerstörung ersten Ranges, von der leider die übrige Welt kaum Notiz nimmt. Während in den baltischen Staaten - vor allem in Estland und Lettland, aber auch in Litauen -, die ja auch von 1945 bis 1991 von der Sowjetunion einverleibt waren, ein großartiger Wiederaufbau stattfindet, der diesen Ländern auch noch einen nicht unerheblichen Tourismus beschert, schreitet der Zerfall im unter russischer Souveränität stehenden Teil Ostdeutschlands, dem von den Russen Kalinigradskaja Oblast genannten Gebiet, weiter fort.
So lassen sich unzählige Kulturdenkmäler wie Kirchen, Guts- und Herrenhäuser nennen, die heute schon nicht mehr existieren. Jedes Jahr mehrfach das Gebiet mit kulturhistorischen Reiseführungen durchquerend und seit 1992 vieles fotografisch festhaltend, habe ich allein im vergangenen Jahr wieder eine Reihe von Gebäuden vorgefunden, die entweder kurz vor dem Zusammenbruch stehen oder mit Planierraupen brutal zusammengeschoben worden sind. Als Beispiel seien hier nur das mächtige Herrenhaus Mayken der Familie Paul v. Späth genannt, ein hervorragendes Architekturdenkmal im spätklassizistischen Stil mit eindrucksvollem Portal, oder auch die massiven Stallungen von Gr. Droosden, die von Alkoholikern abgerissen werden, die dann zum Lohn für 45 bis 50 Ziegelsteine eine Flasche Wodka erhalten. Immerhin böten sich auch für derartige Bauten irgendwann wirtschaftliche Umnutzungen an. Das gleiche Schicksal ereilt jetzt auch das Herrenhaus Albrechtsau im Kreis Angerapp/Darkehmen, das schon vor einigen Jahren seiner Deckenbalkenkonstruktion beraubt wurde - diese brachte, in nachbarlichen Bereichen kleingesägt, genügend Holzvorräte für den Winter ein! Die Folge: Dem Gebäude wurde statisch das Rückgrat gebrochen. Jetzt fällt es teils zusammen beziehungsweise wird bereits der Ziegel wegen ausgeschlachtet. Ein weiteres trauriges Beispiel ist das Gutsschloß Grünhoff im Samland, das dem damaligen Feldmarschall Graf Bülow von Dennewitz im Jahr 1816 vom preußischen König Fried-rich Wilhelm III. für seine Verdien-ste in den Befreiungskriegen (gemeinsam mit den russischen Verbündeten) zur Schenkung gemacht wurde.
Genauso ergeht es auch den Kirchen. Die Ordenskirche in Rudau im Samland hat den Rest ihres Daches verloren, die Rudimente der kleinen Pfarrkirche in Herdenau/Kallninken (1753) im Kreis Elchniederung, die als Ruine noch eine besondere Ausstrahlung besaß, verschwinden zusehends, die Ordenskirche von Tharau (14. Jahrhundert) im Kreis Pr. Eylau, die nach 1945 - wie übrigens die meisten Kirchen im Lande - noch unbeschädigt war, ist stark durch weitere Verwüstungen gefährdet. Schwer beschädigt ist bereits das wertvolle Sterngewölbe des Kirchenschiffes.
Fassungslos fragt man sich nach dem Sinn dieser Zerstörungen, die unwiederbringlich wertvolles Kulturgut verlorengehen lassen. Diese Kulturlandschaft hat aus heutiger Sicht auch eine europäische Geschichte. Auch in Polen hat man das erkannt und versucht - teilweise in hervorragender Weise - diese Zeugnisse der Geschichte zu retten und zu restaurieren beziehungsweise zu rekon- struieren. Der Erfolg zeigt sich auch im zunehmenden Tourismus. Estland und Lettland registrieren einen großen Zulauf. Besonders die Hauptstädte Tallinn und Riga mit ihren großartigen Stadtbildern erzeugen bei den Besuchern ein großes Staunen. Im litauisch verwalteten Teil der Kurischen Nehrung ist in der Hauptsaison kein Bett mehr zu bekommen, während im unter russischer Souveränität stehenden kaum ein Bett für Touristen zur Verfügung steht.
Ich empfinde es als besonders wichtig, im Sinne des von meinem Kollegen, dem Hamburger Baudirektor i. R. Hans Lafrenz, Gesagten - der, in Fehmarn geboren, keinerlei Wurzeln in Ostdeutschland hat - in das Land zu fahren und den dort lebenden Menschen bei der Bewältigung dieser Probleme zur Seite zu stehen und sie zu überzeugen.
Eine Reise nach Königsberg wird viele zu der Erkenntnis bringen, daß sie das Land nicht mehr losläßt! Wer jetzt reist, den wird der Frühling in Ostdeutschland in dieser auch noch zauberhaften Landschaft begrüßen. Immer noch ist das Land von herrlichen, baumbesäumten Alleen durchzogen, haben sich die zahlreichen Landschaftsbilder erhalten. Man sieht Ruinen der einst so mächtigen Ordensburgen, dazu die herrlichen Backsteinkirchen des Deutschen Ordens, die noch im Zerfall ihre Schönheit und Kraft ausstrahlen. Man erlebt die Konfrontation mit der noch sichtbaren Vergangenheit - heute vergessen - vieles verwittert - verstaubt - geschunden - und doch spürt man, wie die Menschen damals, vor der Vertreibung, hier gelebt haben. Man muß Mut haben zu so einer Reise, doch man wird belohnt - sie ist ein unglaubliches Abenteuer. Überall in den Fliederbüschen singt der Sprosser - die ostdeutsche Nachtigall -, zeigen sich die mit ihrem Nestbau beschäftigten Störche, sieht man in den Wiesen scheue Kraniche. Eine eindrucksvolle Reise, die noch lange in Erinnerung bleiben wird.
Auch dieses Jahr, diesmal vom 15. bis zum 29. Mai, fährt der Autor wieder mit einer Reisegruppe in die Heimat. Zur Reise gehören sieben Übernachtungen in Königsberg, fünf Übernachtungen in Kreuzingen und zum Schluß zwei Übernachtungen in Nidden auf der Kurischen Nehrung.
Ein Beispiel für viele Kulturdenkmäler im Königsberger Gebiet: Das mächtige Herrenhaus Mayken der Familie Paul v. Späth, ein im Kreis Labiau gelegenenes hervorragendes Architekturdenkmal im spätklassizistischen Stil mit eindrucksvollem Portal, um die letzte Jahrtausendwende (rechts) und von der Parkseite aus gesehen im Jahre 2003 (unten). Fotos: Papendick
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