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Am 24. September finden in Jugoslawien fünf Wahlen statt. Neu bestellt werden an diesem Superwahl-Sonntag der jugoslawische Präsident, die beiden Kammern des jugoslawischen Bundesparlaments, die Gemeinderäte in den serbischen Städten sowie das Regionalparlament der Wojwodina. Bereits ein Vergleich der Wahlberechtigtenzahl mit der Zahl jener, die tatsächlich wählen können und möglicherweise zur Wahl gehen werden, macht die besondere Lage der Bundesrepublik Jugoslawien deutlich. Theoretisch sind für die Wahl des Staatspräsidenten und des Bundesparlamentes etwa sieben Millionen Bürger wahlberechtigt; tatsächlich wählen können aber nur etwa fünf Millionen Menschen, denn wegen des Kosovo-Krieges finden in dieser Provinz keine der zuvor genannten Wahlgänge statt. In Montenegro werden die Wahlen durch die prowestliche Regierungskoalition unter der Führung von Präsident Milo Djukanovic´ boykottiert, während die Milosevic´ treuen Parteien unter Führung des jugoslawischen Regierungschefs Momir Bulatovic´ daran teilnehmen werden. Klar ist, daß die Undurchführbarkeit der Wahl im Kosovo und der Boykott durch die prowestlichen montenegrinischen Parteien die Chancen der Milosevic-Gegner beträchtlich schwächen.
Die erste Kammer des Bundesparlamentes, die sogenannte Bürgerkammer, umfaßt 138 Abgeordnete, von denen 108 in Serbien und 30 in Montenegro in direkter Wahl in einem Wahlgang gewählt werden. Die 30 montenegrinischen Mandate dürften weitgehend den Pro-Milosevic´-Parteien zufallen, weil die Koalition unter Milo Djukanovic´ nicht antritt. Angesichts dieser Ausgangslage wird es für Milosevic´-Gegner fast unmöglich sein, eine Mehrheit oder gar eine Zwei-Drittel-Mehrheit in der Bürgerkammer zu erringen.
Ähnlich düster sind die Aussichten der serbischen Opposition auch hinsichtlich der zweiten Kammer des Bundesparlaments, der Kammer der Republiken. In diese entsenden Serbien und Montenegro je 20 Abgeordnete, die ebenfalls direkt und in einem Wahlgang gewählt werden. Auch hier dürfte der überwiegende Teil der montenegrinischen Mandate an Milo-sevic´ gehen, denn seine Gegner treten in dieser kleineren jugoslawischen Teilrepublik nicht an. Somit dürfte Milosevic´ auch in dieser Kammer nach den Wahlen erneut über eine Mehrheit verfügen.
Begründet haben die prowestlichen Regierungsparteien Montenegros ihren Wahlboykott mit der handstreichartigen Änderung der Bundesverfassung Anfang Juli. Dadurch wurde die Direktwahl des jugoslawischen Staatspräsidenten und der Abgeordneten der Republikenkammer des Bundesparlaments eingeführt. Dies schwächte zwangsläufig die Position der kleineren jugoslawischen Teilrepublik, die trotz ihrer nur etwa 650 000 Einwohner gegenüber Serbien (etwa 8 Millionen) in der Föderation eine privilegierte Stellung genoß. Eine Teilnahme an den Wahlen würde einer nachträglichen Legitimierung dieser ein-seitigen Verfassungsänderung gleichkommen und außerdem die montenegrinische Regierung stürzen, in der auch eine Partei vertreten ist, die klar für die Unabhängigkeit von Serbien eintritt.
Bei der Wahl des jugoslawischen Staatspräsidenten werden die Chancen der serbischen Opposition weniger durch den montenegrinischen Boykott, als vielmehr durch die eigene Uneinigkeit geschwächt. Die sogenannte demokratische Opposition tritt nämlich mit zwei Kandidaten gegen Amtsinhaber Slobodan Milosevic´ an. Die größte Gruppierung, die "Serbische Erneuerungsbewegung" (SPO) von Vuk Draskovic´ hat den Belgrader Bürgermeister Vojislav Michajlovic´ nominiert. 15 kleinere Oppositionsparteien haben sich zum Wahlbündnis "Demokratische Opposition Serbiens" (DOS) zusammengeschlossen und den Juristen und Nationalisten Vojslav Kostunica aufgestellt.
Trotz dieser Uneinigkeit hat die Opposition bei der Präsidentenwahl größere Siegeschancen als bei den Lokalwahlen in Serbien. Letztere könnten für die Opposition zum Verlust so mancher vor vielen Jahren mühevoll errungenen städtischen Bastionen führen, denn hier kommen zur Uneinigkeit als weitere Handicaps massive Korruptionsvorwürfe vor allem gegen die in Belgrad regierende SPO sowie die Wahlrechtsreform, derzufolge die Gemeinderäte in den Städten dieses Mal nach dem relativen Mehrheitswahlrecht gewählt werden. Diese Änderung des Wahlrechts begünstigt vor allem die sozialistische Partei mit Slobodan Milosevic´, sofern denn die sogenannte demokratische Opposition auch bei diesen Wahlen mit zwei Listen (SPO und DOS) antreten sollte, und danach sieht es bisher aus. Otto Schiller
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