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Der Tombolagewinn

 
     
 
Kaum waren die Abendnachrichten verlesen worden, erhob sich Emma auch schon und drückte auf die Austaste. "Was soll denn das?" rief Paul empört. "Wollten wir uns nicht den Spielfilm ansehen? Den mit Götz George?" - "Entschuldige man", wehrte Emma mit ihrer sanften Stimme ab. "Ich habe nämlich mit dir etwas ganz Dringendes zu besprechen." - "Na, was das wohl sein könnte ... Hast dir mit der Meierschen schon wieder ein neues Ding ausgedacht?" - "Iwo doch. Es geht um das Schicksal unserer Ziegen und Schafe." - "Sind die etwa krank?" wollte Paul wissen und steckte sich genüßlich eine Brasil an. "Oller Blubberkopp! Ick wär dä Biesters varköpe!" - "Waaas ..., meine Rasenmäher?" entfuhr es Paul spontan. "Ja, auch die! Alle Ziegen und Schafe kommen weg. Mir machen die Tiere zu viel Arbeit: Ziegen melken, füttern, ausmisten und so."

"Eigentlich hast du recht, mein Puttchen", gab Paul klein bei. "Wer soll denn die Tiere kaufen? Doch wohl nicht etwa der Schlachter?" - "Nä, nä, hebb keene Angst. Dä Bur Winkler köfft se." - "Ach so. Und zahlt er auch einen guten Preis?" forschte Paul. "Alles schon ausgehandelt", sagte Emma lächelnd. "Ein bißchen von dem Geld verjubeln wir dann auf dem Dorffest, verstehst du?" - "Stimmt ja - in 14 Tagen steigt unser Dorffest", erinnerte sich jetzt auch Paul. "Da wirst du wieder deine Freude haben, dich dauernd vor der Losbude aufhalten und auf einen großen Tombolagewinn warten."

Emma überhörte die Stichelei und meinte: "Im vorigen Jahr war die Ausbeute relativ gering, aber in diesem Jahr kaufe ich bedeutend mehr Lose, damit die Gewinnchancen steigt. Kommt schließlich auch dir zugute."

Über zwanzig Jahre wohnten Emma und Paul nun schon in Schählusberg, einem gepflegten Dorf mit nahezu dreitausend Einwohnern. Trotzdem kannte jeder jeden. So war das Dorffest eine willkommene Gelegenheit, alte Freundschaften aufzufrischen und neue zu knüpfen. Besonders ausgiebig plachanderte man mit den Landsleute
n aus Ostdeutschland, die man sowieso aus der freundschaftlichen Gruppe kannte.

Auf dem großen Festplatz gab es eigentlich alles, was auf einen Rummelplatz hingehört: Karussells, Schieß- und Würfelbuden, Zuckerbäcker, Flohmarkthändler. Aber es gab auch kuriose Marktbeschicker. Sogenannte Originale, deren Stände stets umlagert waren.

Eines dieser Originale war Heinrich Klabunde, ein 82jähriger Insterburger, den es nach der Vertreibung nach Schählusberg ver- schlagen hatte. Dort begann er gleich wieder mit der Herstellung von Dippkes und Schlorren. Alles Handarbeit. Auch jetzt noch. Sein Stand hatte den meisten Zulauf, denn der rüstige alte Lorbaß ließ einen ostdeutschen Witz nach dem anderen los, zur Erheiterung des Publikums, das natürlich nicht abgeneigt war, auch seine erstklassige Ware zu kaufen. Doch der alte Herr besaß nicht nur handwerkliche und poetische Fähigkeiten, er konnte auch prophezeien.

Seinen ergrauten Vollbart streichelnd, blickte er mit ernster Miene von einem zum anderen, schmunzelte vielsagend und meinte dann nach einer geraumen Weile: "Also, wenn ich mich heute nicht zum ersten Mal täuschen sollte, dann kann ich voraussagen, daß so mancher einen fetten Tombolagewinn ergattern wird, vielleicht sogar hinter sich her nach Hause ziehen muß. Wie ihr alle wißt, hat es eine Neuerung gegeben: In diesem Jahr können bei der Tombola Schweine, Ziegen, Schafe, Gänse, Enten, Hühner ... und sogar eine Kuh gewonnen werden. Alles voll lebendig. Na, ist das nichts? Normalerweise könnte ich die Hauptgewinner schon jetzt benennen. Doch dann wäre die Spannung weg." Freundlich dankend nahm der den Applaus entgegen, erzählte noch einen kernigen Witz und widmete sich dann dem Verkauf seiner Waren.

"Eine gute Idee von den Veranstaltern", brummte Paul. "Mit einer fetten Gans wären wir gut bedient." Kopfschüttelnd wehrte Emma ab und meinte: "Mi weer e Satz Koaktöpp oder e groote Pann läver." - "Warten wir s ab", entgegnete Paul grinsend. "Natürlich muß man mit Überraschungen rechnen. Übrigens, Marjellchen: Wie viele Lose hast du gekauft?" - "Diesmal hab ich 20 Lose gekauft. Für dich mit, mein Paulchen!"

Und dann war es so weit: Im Festzelt wurden die Gewinnummern aufgerufen. Emma hatte vier Gewinnlose. Der Moderator auf der Bühne rief die Hauptgewinner auf: "Die Kuh, gestiftet von Bauer Melchert, fällt auf die Nummer 101 ... Ein Schwein aus dem Stall von Ewald Lampert ist dem Los 55 zugedacht ... Über ein Schaf aus Max Petruweits Stall darf sich der Losinhaber mit der Nummer 41 freuen ... Und nun habe ich ein besonderes Prachtstück anzubieten, gespendet von Bauer Winkler, eine kräftige Milchziege. Wer hat die Losnummer 66?"

Mehrmals wurde die Nummer aufgerufen, doch es meldete sich keiner. Die Verlosung ging weiter. Emma gewann eine Küchenuhr, einen Satz Bettwäsche und einen Zentner Kartoffeln. Sie wirkte nervös, schmiegte sich an Paul und flüsterte: "Komm, laß uns nach Hause gehen. Ich habe etwas Kopfschmerzen. Das hier ist alles so aufregend." - "Aber Emmchen, wir wollten doch noch tanzen, uns amüsieren, aber wenn dir nicht gut ist, dann gehen wir eben."

"Na siehst du, Emma, hat sich doch gelohnt, 20 Lose zu kaufen", bemerkte Paul, als sie wieder zu Hause im Wohnzimmer saßen. "Doch da fällt mir ein: Du hattest doch vier Gewinnlose, aber nur drei Gewinne erhalten. Hast du etwa ein Los verloren?" Über Emmas feines Gesicht huschte ein verschmitztes Lächeln, als sie ihrem Lorbaß erklärte: "Nä, nä, datt hebb ick noch." - "Und das hat nicht gewonnen? Es wurden doch alle Gewinnummern aufgerufen. Welche Nummer trägt dein viertes Los?" - "Hier, schau selbst: Nummer 99 ... Und die Nummer wurde nicht aufgerufen. Warst doch selbst dabei." - "Na ja, wenn man die Nummer auf den Kopf stellen würde, dann wäre es die 66. Ein Glück, daß du die 66 nicht hat- test ...!" Eigentlich tat Paul Emma leid, daß er sich so verkackeiern ließ, sie ihre weibliche Logik ausspielen mußte, doch was hätte er gesagt, wenn jetzt eine Ziege neben ihm gestanden und ihn ange- meckert hätte?
 
     
     
 
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