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Die Weihnachtsfeier des Gesangvereins konnte diesmal nicht im Gasthaus "Zum Hirschen" stattfinden. Nach dem Martinsgansessen des Sparklubs hatte es dort ein kleines Feuerchen gegeben - wahrscheinlich war eine vergessene "Zigarr" daran schuld, wenn auch böse Zungen behaupten, der Wirt sei doch recht glücklich abgebrannt und könnte jetzt einen neuen, größeren Saal bauen, der in Mattlauken auch dringend benötigt wurde.
So konnte der Gesangverein auch nicht wie üblich ein weih-nachtliches Singspiel einüben, weil es keine Bühne gab. Ja, wo sollte überhaupt die Weihnachtsfeier stattfinden? Schließlich kam man auf die Idee, sie im alten Gutshaus zu veranstalt en. Dort war nach der Aufsiedelung des Gutes vorübergehend die Kreishandwerkerschule untergebracht. Im Haus befand sich ein großer vierfenstriger Raum, den man Saal nannte, der aber keine Bühne besaß. Doch es war immerhin ein Saal.
Der Leiter der Schule war auch gerne bereit, den Raum zur Verfügung zu stellen, denn das brachte Abwechslung in das etwas eintönige dörfliche Leben. Geradezu begeistert aber war der junge Werklehrer, der ab und zu im Chor mitsang. Denn dort hatte er sich in einen ersten Sopran verliebt, der dem blondgelockten Evchen gehörte, der Tochter des wohlhabenden Bauern Gehlhaar.
Es war nur schwer, an die Angebetete heranzukommen. Er hatte es schon ein paarmal versucht, ganz unverfangen auf den Hof zu gelangen, aber sofort hatte ein wütender Kläffer Alarm gebellt. Und zu allem Überfluß war noch ein Ganter, ein riesiges Vieh, mit vorgestrecktem Schnabel und flatternden Flochten auf ihn zugekommen, so daß der Lehrer schleunigst die Flucht ergriff.
Dieses Gehlhaarsche Wächterpaar war dorfbekannt, und mancher ungebetene Gast hatte den harten Schnabel des Ganters schon schmerzvoll zu spüren bekommen. Weniger die spitzen Zähne von Fips, dem Hofhund, denn der lag tagsüber an der Kette. Dabei waren beide, getrennt betrachtet, eigentlich ganz harmlos. Fips sowieso, denn diese Promenadenmischung aus anscheinend allen landläufigen Hunde- rassen war eine friedliche Kreatur. Am liebsten stromerte er mit Fritzchen, dem Gehlhaarschen Sohn und Erben, umher und genoß sichtbar die Kettenbefreiung.
Nur untereinander waren sich Hund und Ganter spinnefeind, denn jeder beanspruchte das Wächteramt für sich. Neid zerfraß die Gemüter, sobald sie in Aktion traten. Am liebsten hätte Fips den frechen Ganter einmal so richtig gezoddert, aber der hatte einen längeren Hals und einen verdammt harten Schnabel.
Selbst jetzt im Winter gab es keinen Frieden, obgleich der Ganter im Gänsestall eingesperrt war. Sobald Fips zu bellen begann, ließ der Ganter im Stall einen markdurchdringenden Schrei ertönen, der das ganze Gänsevolk in Aufruhr brachte. Das ärgerte auch Mutter Gehlhaar, die beschloß: Diesmal muß der Ganter zu Weihnachten daran glauben! Da der Vogel noch nicht alt und zäh war, ergab er einen guten Braten samt Schwarzsauer und Gänseklein.
Was das alles mit der Feier des Gesangvereins zu tun hat? Oh, sehr viel, denn man hatte beschlossen, statt des Singspiels eine Art "lebendes Bild" zu gestalten, wie der Lehrer sagte. Man hatte dazu das Hirtenmotiv gewählt. Denn es gab ja viele weihnachtliche Lieder von den Hirten auf dem Felde, denen der Engel die himmlische Botschaft verkündete.
Ja, der Engel! Das war das eigentliche Problem, denn mit den Hirten war das sehr einfach: Die saßen stumm auf einem grünen Teppich und lauschten der Botschaft, die der Engel verkündete. Der konnte ja nun nicht so mittenmang zwischen den Hirten stehen, eigentlich müßte er schweben - aber wie? Und wer sollte überhaupt den Engel spielen?
Die Wahl fiel, nicht ganz unbeeinflußt von dem Lehrer und Verehrer, auf Evchen. Gegenüber den anderen Marjellens war sie zierlich, ein Leichtgewicht. Und blondgelockt dazu. Mit dem Schweben hatte man sich auch etwas einfallen lassen, umsonst fand die Feier ja nicht in einer Handwerkerschule statt. Lehrer und Schüler hatten ein Gestell gebaut, an dem Evchen über den Hirten schweben sollte. Eine nicht einwandfrei zu beschreibende Konstruktion aus Rohren, Ringen und Schnüren, die aber tatsächlich funktionierte, wie man bei der Generalprobe feststellen konnte.
Evchen schwebte über den Hirten in einem weißen Leinennacht-hemd von Mutter Gehlhaar, das mit Sternen aus Goldpapier beklebt war, auch auf dem wallenden Blondhaar glitzerte es sternengolden. Das Schönste aber waren die Flügel: Man hatte den Ganter tatsächlich geschlachtet, und seine großen Flochten waren zu Engelsflügeln umfunktioniert worden. Der junge Lehrer starrte verzückt den schwebenden Engel an, der - ob seiner etwas mißlichen Hängelage - die Botschaft mit etwas gepreßter Stimme verkündete.
Bruder Fritzchen stand als Hütejunge zwischen den sitzenden Hirten und den anscheinend sanft schlummernden Schafen, die man aus Fellen gebastelt hatte - an Schafen gab es ja keinen Mangel in Mattlauken! Aber irgend etwas fehlte noch auf dem Bild - es war doch schließlich ein "lebendes" -, und da kam Fritzchen auf die grandiose Idee: Ich bring meinen Fips mit! Eine Herde ohne Hütehund war ja undenkbar! Das fanden auch die Arrangeure dieses "Stillebens".
Das allerdings bei der Aufführung keines mehr war. Denn als der Chor sein erstes Lied "Ihr Hirten erwacht, seid munter und lacht ..." anstimmte, worauf die Hirtendarsteller sich auch brav erhoben, kam bei "... die Engel nun schwingen vom Himmel und singen ..." der Engel Evchen, der bisher hinter einem Seitenvorhang verborgen war, ganz langsam hervor und schwebte glitzernd und funkelnd über Hirten und Schafen. Die Zuschauer in dem bis zum letzten Platz gefüllten Saal reagierten ob dieser kunstvollen Darbietung mit einem verzückten "Oh"! Das sich aber schnell in ein entsetztes "Hach" verwandelte, denn es geschah folgendes: Fips, bisher ruhig neben dem Hirtsjungen Fritzchen liegend, war wie vom Biswurm gestochen aufgesprungen: Er glaubte aufgrund der Flügel, die er nur zu gut kannte, daß da oben sein Erzfeind, der Ganter, einschwebte. Er hüpfte wie ein Gummiball hoch und höher, riß sämtliche Hirten um und bekam einen Zipfel des langen Nacht-hemdes zu packen. Worauf der Engel, anstatt seine frohe Botschaft zu verkünden, lauthals zu schreien begann. Die grandiose Konstruktion war dieser Situation nicht gewachsen: Sie brach zusammen! Der fallende Engel wäre recht unsanft auf dem Boden gelandet - die Hirten hatten sich blitzschnell aus dem Staube gemacht -, wenn nicht der junge Lehrer, der als verantwortlicher technischer Leiter hinter dem Vorhang gestanden hatte, mit einem Hechtsprung den Engel gerettet hätte: Er fing ihn mit seinen Armen auf und bewahrte ihn vor dem gänzlichen Absturz. Auch für weitere Fälle: Denn sein Evchen ließ der junge Lehrer von da an nicht mehr los. Obgleich es ein gefallener Engel war. Die festliche Veranstaltung aber endete so, wie der Chor gesanglich gefordert hatte: "... seid munter und lacht!" Es wurde noch eine sehr muntere Feie |
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