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Ein Verlust der ganz besonderen Art droht derzeit in Göttingen. Die Bernsteinsammlung im dortigen Institut für Geologie und Paläontologie der Universität ist akut gefährdet. Durch Lagerung an der Luft haben die Stücke Risse bekommen und zum Teil ihre Farbe so sehr verändert, daß man die eingeschlossenen Fossilien im Durchlicht nicht mehr erkennen kann. Ein Verlust nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch für alle, die diese Sammlung noch aus Königsberg kennen. Denn von dort stammt sie; dort war sie einst Teil der berühmten, weit über 100.000 Stücke umfassenden Sammlung im Bernsteinmuseum, von dort gelangte sie noch rechtzeitig vor Ende des Zweiten Weltkrieg es in den Westen. Die Kosten für die nötigen Konservierungsarbeiten belaufen sich auf etwa 80.000 D-Mark - ein vergleichsweise geringer Betrag für diese einzigartige Sammlung, der jedoch vom Institut allein nicht aufgebracht werden kann.
Wie wichtig Untersuchungen von Bernstein auch heute noch sind, zeigt eine Entdeckung, die Oliver Zompro vom Max-Planck-Institut für Limnologie in Plön vor kurzem machte. Er hatte eine bisher noch nie beschriebene Insektenart, die einer Stabschrecke ähnelt, eingeschlossen in Bernstein gefunden. In Sammlungen zweier Museen fanden sich ähnliche Tiere, die nicht in Bernstein konserviert waren und erst im 20. Jahrhundert gefunden wurden. „Offensichtlich ist diese Tiergruppe also nicht im Tertiär ausgestorben, sondern lebt heute noch in einigen verbliebenen Urwaldresten der Erde“, vermutet der Biologe.
Welche Pracht das Gold der Ostsee entfalten kann und welche Vielfalt an Einschlüssen es beherbergt, davon kann man sich noch bis zum 30. November im Natureum Niederelbe, dem Naturkunde- und Freilichtmuseum am Mündungstrichter der Elbe, überzeugen (an der B 73, kurz vor Cuxhaven; Öffnungszeiten dienstags bis sonntags 10 bis 17 Uhr; Eintritt Erwachsene 6 DM, ermäßigt 3 DM). In drei übersichtlichen Stationen erfährt der Besucher alles über das fossile, versteinerte Harz, das zwischen 40 und 50 Millionen Jahre alt ist. In der ersten Station wird man in den urwüchsigen Bernsteinwald geführt, eine Nachbildung natürlich. Dort begegnet man den Modellen von lebensgroßen Urpferdchen, nicht größer als ein Kaninchen. Man sieht, wie dickes Baumharz aus einem verletzten Stamm quillt, das später einmal zu Bernstein werden soll. Großformatige Leuchtdias erleichtern den Blick auf Einschlüsse in Bernstein: Käfer, Ameisen, Tausendfüßler, Spinnen. Natürlich sind auch die Stücke selbst zu sehen: weiße, hellgelbe, goldbraune, dunkelbraune. Bei dieser Gelegenheit weist eine Tafel auf die Gefahren hin, wenn Bernstein ungünstigen Luftverhältnissen ausgesetzt wird. Durch Oxidation überzieht bald eine bräunliche Verfärbung die Oberfläche, die zur vollständigen Zerstörung führen kann.
Die zweite Station führt den Besucher nach Bitterfeld, in die Dominikanische Republik und natürlich ins Samland (damals und heute). Dort nämlich fand und findet man das fossile Gold, dort wird es abgebaut im Tief- und Tagebau. Großfotos zeigen die Arbeit einst und jetzt. In Vitrinen dann Beispiele aus aller Herren Länder - China, Libanon, Jordanien, Sibirien, Ukraine, USA, sie alle sind Fundstellen von Bernstein. Die Gletscher der Eiszeit sind schuld, daß fossiles Harz auch mitten im Land gefunden werden kann. Sie haben die Gesteins- und Erdmassen vor sich hergeschoben, ihr Schmelzwasser spülte den Bernstein heraus, der mit dem Wasser der entstehenden Ströme und Bäche ins Meer getragen wurde. Bis an Englands Ostküste im Westen, bis Südschweden und Südfinnland im Norden ist Bernstein gefunden worden. Am bekanntesten aber dürfte immer noch Palmnicken im Samland sein, wo aus der blauen Erde noch heute das Gold der Ostsee abgebaut wird (zur Zeit jährlich etwa 700 Tonnen). Aber auch die See selbst gab - und gibt - ihre Schätze frei. Meistens nach heftigen Stürmen (im Herbst 1862 waren es auf einem 7 Kilometer langen Strandabschnitt in Palmnicken über 2000 Kilogramm!) oder durch geschicktes Hantieren der Bernsteinfischer mit Kescher und Haken - zum Anheben schwerer Steine - unter der Wasseroberfläche. Das Modell (1:1) eines Bootes, mit zwei lebensgroßen Puppen besetzt, veranschaulicht in der Ausstellung diese schwere Arbeit.
Die letzte Station der Reise durch die wunderbare Welt des Bernsteins ist der Verarbeitung gewidmet. Preßbernstein wird ebenso gezeigt wie Naturbernstein, kunstvoller Schmuck ebenso wie Gebrauchsgegenstände, Stücke aus der ehemaligen Staatlichen Bernsteinmanufaktur (Leihgaben des Ostdeutschen Landesmuseums) ebenso wie neueste Schnitzarbeiten etwa aus dem heutigen Memel oder Bernsteinbilder von Hermann Löffler, Glücksburg. In einem Quiz mit einfachen und schwierigen Fragen, zu beantworten an einem PC, kann der Besucher am Schluß des Rundgangs überprüfen, ob er die Tafeln mit den Erläuterungen aufmerksam gelesen hat. - Ein Spaß für alle, die ihn haben, den „gelben Blick“, den Blick für Bernstein.
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