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Deutliche Worte

 
     
 
Es herrscht Eiszeit zwischen Moskau und Warschau, und das mitten im Frühling. In diesem Jahr des Erinnerns, 60 Jahre nach Kriegsende, gedenkt Polen seiner Opfer - auch derer, die Rußlands Politik in Zeiten der Sowjet-union dem Land abverlangte. Doch diese Offenheit paßt dem heutigen Rußland nicht. Putin sieht sein Land nach wie vor in der Rolle des Befreiers - ausschließlich.

Polens Präsident Aleksander Kwasniewski gab nicht den Ausschlag, doch es sind seine Worte bei den offiziellen Feierlichkeiten zum Kriegsende in Moskau am 8. Mai, die dem neuen Tenor, genauer, dem alten Unmut aus Warschau angesichts des Umgangs der russischen "Befreier" mit den polnischen "Befreiten" neuen Ausdruck verleihen. Bei strömendem Regen erwies Präsident Kwasniewski "denen die Ehre, derer das offizielle Moskau im Rahmen der Feiern nicht gedenken wollte", berichtete die konservative polnische Zeitung Rzeczpospolita. Ungewohnt ist nicht nur die deutliche Kritik des Präsidenten, sondern auch die Berichterstattung der polnischen Medien, galt es doch eigentlich den "gemeinsamen Sieg" über Deutschland zu feiern. Doch Feierstimmung kommt nicht auf angesichts der plumpen russischen "Befreier"-Allüren.

So nutzte Kwasniewski die Einladung Putins nach Moskau zu einem Gegenprogramm - er "erwies den Anführern des polnischen Untergrundstaats die Ehre, erinnerte daran, wie sie in die Falle gelockt, nach Moskau verbracht und in rechtswidrigen Prozessen
verurteilt wurden", wie die polnische Tageszeitung berichtet. Es ist die "Achtung vor der historischen Wahrheit", die Rußland in den Augen der Polen nach wie vor vermissen läßt. Ganz im Gegensatz zu Deutschland sei Rußland nie für die Verbrechen des Hitler-Stalin-Paktes und der Kriegszeit verurteilt worden, resümiert das polnische "Institut für das nationale Gedächtnis" (dieberichtete). Mehr noch: Zur mangelnden Rechenschaft kommt in Rußland noch fehlende Reue hinzu. Zumindest lassen die offiziellen Moskauer Reaktionen auf das ungewohnte Gedenken des polnischen Staatsoberhauptes dies vermuten. Putin beharre laut Rzeczpospolita darauf, daß Rußland neben dem eigenen Land noch elf weitere Staaten in Europa "befreit" habe. Darunter selbstverständlich Polen. Rußlands Außenminister sattelte laut polnischer Berichterstattung noch eins drauf und konterte, der bei den Feiern erhobene Vorwurf einer Besetzung der baltischen Staaten sei "absurd". Natürlich wurden auch sie "befreit". - Schlimmste Befürchtungen der ebenfalls zum 8. Mai nach Moskau eingeladenen baltischen Staatschefs scheinen bestätigt.

Sie zogen es mehrheitlich vor, gar nicht erst zu erscheinen - nur die lettische Präsidentin Vaira Vike-Freiberga kam. Wie die polnische Politprominenz nutzte auch sie die Gunst der Stunde, von Rußland eine offizielle Verurteilung des Hitler-Stalin-Paktes von 1939 zu fordern. Auch die Auffassung, daß 1945 "eine Besatzung die andere ablöste", teilen Balten und Polen inzwischen.

"In der jüngsten Geschichte der Polen und Russen gibt es noch viele nicht abgerechnete Verbrechen - sie belasten die gegenseitigen Beziehungen schwer", resümierte Kwasniewski in Moskau. Und forderte "historische Wahrheit" als Fundament für Verständigung ein. Diese mit neuer Schärfe formulierte Kritik zeigt nicht nur den Grad des Zornes gegen die aus Sowjetzeiten überkommenen Geschichtszerrbilder, sie läßt auch hoffen - auf den Anfang einer polnisch-russischen Versöhnung und darauf, daß Polen selbst die "historische Wahrheit" zum Maßstab des Umgangs mit den dunklen Kapiteln der eigenen Geschichte macht. SV

Bei den Polen nicht beliebt: Wladimir Putin
 
     
     
 
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