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Detlef Gürtler schwört auf die Potentiale der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft und betont die Stärken der sozialen Marktwirtschaft. In Anlehnung an die Alltagsweisheit eines Ludwig Erhard versucht der Autor Detlef Gürtler unter der Überschrift "Vorbild Deutschland. Warum die Amerikanisierung unserer Wirtschaft ein Ende haben muss!" darzulegen, daß wir in Deutschland in dem stabilsten System in politischer und ökonomischer Hinsicht leben, welches die Welt zur Zeit zu bieten habe. Alles andere sei lediglich pessimistisches Gejammere, das die eigenen Möglichkeiten schmälere.
Von Kapitel zu Kapitel listet der studierte Volkswirt und Politikwissenschaftler die Felder auf, die vom Pessimismus betroffen sind, Verwaltung, Industrie, Parlament, um zu zeigen, daß alles gar nicht so schlimm sei, sondern daß es darum gehe, sich auf seine eigenen Stärken zu besinnen, und nicht darum, Krisen durch Gerede zu vertiefen. Der größte Fehler sei es jedoch, daß versucht werde, alles im Sinne des großen Vorbildes USA zu interpretieren und zu korrigieren. Auf diese Weise schade man der eigenen Verfaßtheit am meisten. Hier scheint ein kleiner Widerspruch im Buch aufzutauchen. Einerseits stehe Deutschland immer noch besonders gut da, nach Zeiten des anglo-amerikanisch geförderten Wirtschaftswunders, andererseits sei es aber gerade das marktwirtschaftliche Beispiel der USA, das es zu kritisieren gelte und dem man nicht nacheifern solle. Aufgelöst ist diese Ungereimtheit durch die Einsicht des Lesers, daß es nicht die Wirtschaftordnung alleine ist, die einen Unterschied zu den USA darstellt, nicht nur der Unterschied zwischen sozialer Marktwirtschaft und freier Wolfsgesellschaft, sondern auch die Unterschiede im gesamtpolitisch-kulturellen System. Ist hier die Sozialisierung des Gewinns und des Fortschritts politische Maßgabe, ist es dort die Maximierung dieser Größen aus Eigennutz, genauso wie deren egoistische Verwendung. So gesehen können die USA zur Zeit für die deutsche Gesellschaft kein Vorbild sein.
Gürtler lobt die Akteure des Alltäglichen in unserem Staat, die Gewerkschaften, die Unternehmen, die verschiedenen politischen Ansichten in der Gesundheitspolitik, auf dem Arbeitsmarkt, in der Administration wegen der grundsätzlichen Anlage. Es ist ein Optimismus auf dem Fundament der Erkenntnis, daß sich alles zum Besseren entwickelt und das Gute erhalten bleibt, weil eben das Ganze sinnvoll zusammenhängt. Damit kritisiert der Journalist jedoch nicht nur Systeme, sondern gleichzeitig ganze Theorien und Theoretikerkasten. Die Wirtschaftswissenschaftler in Deutschland vermitteln an den Universitäten die Ansichten einer Wolfsgesellschaft, nach dem Motto "Wenn jeder an sich denkt - ist an alle gedacht". Diese Technizisten seien jedoch nicht in der Lage, ihre Modelle in der Realität, die sich nicht durch Betrachtungen in Reagenzgläsern (abstrahierende Isolierung von Einzel- problemen) erkennen läßt, sondern durch komplexes Zusammenwirken gekennzeichnet ist, plausibel zu machen. Die Theoreme sind zwar handhabbar, aber irreal. So seien die deutschen Ökonomen die schlechtesten der Welt, die einerseits die Unzulänglichkeit ihrer Theoreme nicht einsähen, gleichzeitig jammernd aber immer gegen angeblich überkommene Mechanismen des ökonomischen und sozialen Zusammenspiels in Deutschland wetterten und sie in Richtung einer weiteren Wirtschaftsliberalisierung zu verändern trachteten. Die Fehler und das Versagen der Zunft hätten schon die Wiedervereinigung um Hunderte Milliarden teurer gemacht als notwendig. Dies läge auch daran, und man denke an den Doktor der Geschichte an der Spitze des Bundeskabinetts zu jener Zeit, der nach der Einheit auch grundsätzliche ökonomische Entscheidungen fällte, daß die politische Klasse keinen Wirtschaftsverstand habe oder diesen verliere.
Man mag meinen, daß in dem Buch mit dem Goldeinband und dem deutschen Schäferhund im Titelbild ein zu positives Bild von den Möglichkeiten und Stärken deutscher Wirtschaft und Gesellschaft gezeichnet wird. Doch die einschränkenden Bemerkungen der letzten Kapitel kennzeichnen die Potentiale als das, was sie sind - als Kräfte, die in rechtem Sinne genutzt werden müssen, um positive Wirkung zu entfalten. In dieser Weise qualifiziert der 38jährige Autor die Prinzipien amerikanischen Wirtschaftens als materielle, dem Wohl des einzelnen und eines übergeordneten Ganzen, das man als Volk begreifen kann, zuwiderlaufende Handlungsmaximen.
Schuldig bleibt er die Antwort auf eine Frage, die sich dem Leser zwangsläufig stellt. Woher kommen solch segmentäre Einzelinteressen in der US-amerikanischen Wirtschaft, und welche Lobby hilft diesen Kräften wie zum Durchbruch? Daß diese Grundsätze jedoch auf Deutschland nicht passen und in Europa nur schwer zu realisieren sind, wird außerordentlich deutlich. Sie scheinen auch für die USA wenig wünschenswert.
Detlef Gürtler: "Vorbild Deutschland. Warum die Amerikanisierung unserer Gesellschaft ein Ende haben muß", Eichborn, Frankfurt 2003, geb., 192 Seiten, 17,90 Euro
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