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Die Novemberrevolution 1918-19

 
     
 
Erst Anfang Januar wurde ein ostdeutscher "Provinzialrat" gebildet, der die Räteherrschaft über die Städte- und Kreisebene für ganz Ostdeutschland repräsentieren sollte. Dieser Provinzialrat sollte die örtlichen Behörden kontrollieren und alle amtlichen Bekanntmachungen auf Provinzialebene gegenzeichnen. Er erklärte sich für zuständig für die Kontrolle des Oberpräsidiums und der Provinzialverwaltung. Er beschloß, daß in jeder Gemeinde Ostdeutschlands ein Arbeiterrat und in jedem Garnisonsort ein Arbeiter- und Soldatenrat einzurichten sei. Dieser Entwicklung stand man in Berlin auch von sozialdemokratischer
Seite kritisch gegenüber. Man drang auf eine klare Trennung von Verwaltung und Arbeiter- und Soldatenräten, um die schlimmsten Auswüchse von Willkür zu verhindern, was nicht immer gelang.

Bereits am 13. November 1918 hatte sich der preußische Ministerpräsident gegen die Auflösung von Stadtverordnetenversammlungen und ihre Ersetzung durch Arbeiterräte ausgesprochen. Nun, Anfang 1919, legte das preußische Innenministerium das Kontrollrecht genau fest: Die Arbeiterräte seien keineswegs befugt, in die Rechtsprechung oder die Kassenverwaltung einzugreifen. Damit sollte eine unabhängige Justiz gewährleistet sein und verhindert werden, daß unverantwortliche Elemente sich unter fadenscheinigen Vorwänden selbst die Taschen füllten, wie dies auch in Ostdeutschland allzu oft geschehen war. Ferner wurde ihnen untersagt, Steuerlisten einzusehen oder an Gemeindevorstands- und Magistratssitzungen teilzunehmen; vertrauliche Angelegenheiten durften ihnen nicht mitgeteilt werden. Die Arbeiter- und Soldatenräte seien lediglich berechtigt, gegen amtliche Maßnahmen Einspruch zu erheben.

In den Städten, Kreisen und Landgemeinden beinhaltete die Kontrolle örtlichen Behörden nur eine oberflächliche Kenntnisnahme der amtlichen Korrespondenz, die Gegenzeichnung wichtigen Schriftverkehrs und die Teilnahme an wichtigen Sitzungen.

Auch in anderen Städten Ostdeutschlands gab es Arbeiter- und Sodatenräte. So unter anderem in Allenstein, Angerapp, Braunsberg, Ebenrode, Eydtkuhnen, Goldap, Gumbinnen, Insterburg, Lötzen, Lyck, Neidenburg, Ortelsburg, Rastenburg, Riesenburg, Sensburg und Treuburg.

"In den Soldatenräten, die sich in Ost- und Westpreußen gebildet hatten", so beschreibt es der Sozialdemokrat Gustav Noske, "saßen vielfach Leute aus dem Westen, besonders auch aus Groß-Berlin, die nach den Garnisonen im Osten eingezogen worden waren. Eine starke sozialdemokratische Bewegung hatte es dort in den kleineren Städten noch nicht gegeben."

Allenstein

Über die Vorgänge in Allenstein berichtete der spätere SED-Politiker Franz Dahlem, damals Spartakist in der USPD:

"Am 8. November 1918 war es ein Kölner Jugendgenosse, der als Matrose und Delegierter des Soldatenrates in Kiel nach Allenstein in Ostdeutschland kam, wohin ich aus dem Lazarett entlassen worden war. Unter der Leitung eines bereits bestehenden Aktivs von Genossen, darunter Streikführern, die zur Strafe an die Front versetzt worden waren, proklamierten auch wir, unter begeisterter Zustimmung der Soldatenmassen die Revolution in dieser Garnison, stürmten die Kommandantur und die Gefängnisse und legten die ganze Macht in die Hände des Arbeiter- und Soldatenrates. In seinem Auftrage besetzte ich mit einigen bewaffneten Soldaten das Gebäude der ,Allensteiner Zeitung‘, des Organs der Konservativen Partei, mit der einfachen Begründung, daß auf Grund der veränderten Machtverhältnisse die Zeitung von nun ab das Organ des Arbeiter- und Soldatenrates sei. So wurde ich über Nacht Redakteur – nicht lange, da auf Grund des Protestes der Druckereibesitzer beim Rat der Volksbeauftragten in Berlin nach kurzer Zeit eine Verordnung veröffentlicht wurde, nach der, unter Bezugnahme auf die Unverletzlichkeit des Privateigentums, die Zeitung ihren rechtmäßigen Eigentümern zurückzugeben sei."

Etwas anders sah die Vorgänge in Allenstein der Sozialdemokrat Gustav Noske in seinen Memoiren: "Besonders lebhafte Klagen waren mir aus Allenstein und Thorn zugegangen. Telegraphisch bestellte ich die beiden treibenden Männer nach Berlin. Der Thorner roch Lunte und antwortete, er könne im Augenblick nicht abkommen. Der Allensteiner Mann erschien. Seinen Wohnsitz hatte er in einem Berliner Vorort, er war Unabhängiger, politisch wenig unterrichtet, ziemlich wortgewandt und hatte sich als Herrscher in seinem Bezirk ein gehöriges Maß von Selbstbewußtsein zugelegt. Auf meine Vorhaltungen antwortete er grob, die Regierung habe ihm keine Vorschriften zu machen. Da alles Zureden keinen Eindruck machte, erklärte ich ihm ruhig, da er sich nicht fügen wolle, werde er nicht nach Allenstein zurückkehren. Da wurde der bisher patzige Mann blaß und stammelte, er hätte sich eigentlich denken können, daß er eine Kugel vor den Kopf bekommen solle; Kameraden hätten ihn auch gewarnt, nach Berlin zu fahren. Wegen der Kugel beruhigte ich ihn und versicherte, es würde genügen, ihn in Berlin in Gewahrsam zu behalten. Diese Ankündigung genügte, ihn gefügig zu machen. Ganz traute er dem Frieden offenbar nicht, denn er verließ das Zimmer mit unsicherem Blick. Neue Klagen nennenswerter Art kamen aus seinem Bezirk nicht mehr."

Ebenrode

In Ebenrode / Stallupönen herrschte Krieg zwischen dem Arbeiterrat, dessen Mehrheit aus Sozialdemokraten und Linksbürgerlichen bestand, und dem konservativen Landrat Theodor Kramer. Der Arbeiterrat warf ihm vor, offen die Gutsherren zu begünstigen und dem Schleichhandel Vorschub zu leisten, indem er vor Kontrollen auf den Gutshöfen die Gutsbesitzer davon benachrichtigen ließ. Als der Arbeiterrat im Februar 1919 beschloß, den Landrat abzusetzen, ordnete der sozialdemokratische Innenminister Preußens, Paul Hirsch, an, Kramer solle vorläufig bis zur Klärung der Vorwürfe weiter im Amt verbleiben. Der ostdeutsche Provinzialrat weigerte sich, diese Anordnung auszuführen und befahl dem Rat von Stallupönen, den Landrat bei der Ausübung seines Dienstes zu behindern. Im März wurde der Landrat nach einer Besprechung in Berlin vorläufig zur Disposition gestellt, aber der Regierungspräsident von Gumbinnen, Georg Wilhelm Graf Lambsdorff, ordnete dessenungeachtet an, er solle die Geschäfte wieder übernehmen. Daraufhin erneuerte der Arbeiterrat seinen Beschluß vom Februar, daß der Landrat gehen müsse, da er der Regierung dauernd passiven Widerstand leiste. Dagegen sprach sich die sozialdemokratische Regierung in Berlin erneut aus. Ende März 1919 bat der Stallupöner Arbeiterrat den Berliner Zentralrat der Arbeiter- und Soldatenräte, den Fall erneut dem neuen preußischen Innenminister Wolfgang Heine vorzutragen und neue Landräte auch in die benachbarten drei Kreise (Goldap, Gumbinnen und Schloßberg/Pillkallen) zu schicken. Der Zentralrat lehnte dieses Ersuchen jedoch als aussichtslos ab. Erst im Mai 1919, lange nach dem Ende der eigentlichen Revolutionszeit, wurde Kramer schließlich durch Freiherrn Schoultz v. Ascheraden abgelöst.

Insterburg

In Insterburg hatte sich am 8. Januar 1919 ein "Ostdeutscher Zentralrat" gebildet, der sich selbst als höchstes Gremium aller Arbeiter- und Soldatenräte Ostdeutschlands verstand und der "im Einvernehmen mit dem Herrn Oberpräsidenten", damals noch Batocki, arbeitete. Außerdem gab es auch einen örtlichen Arbeiterrat. Erst im August 1919 beschlossen Magistrat und Stadtverordnetenversammlung von Insterburg, die Kontrolltätigkeit des Arbeiterrates zu beenden, da es inzwischen vom Volk gewählte und legitimierte Einrichtungen für diesen Zweck gäbe – eben die Stadtverordnetenversammlung. Der Arbeiterrat hingegen mochte sich nicht selbst auflösen, hielt seine eigene Arbeit weiterhin im Interesse der Arbeiterschaft für unabdingbar und eine abrupte Beendigung seiner Tätigkeit gar für "geradezu gefährlich". Die Frage wurde schließlich, wie überall, zugunsten der repräsentativen Demokratie entschieden.

Labiau

Auch in Labiau gab es einen Arbeiter- und Soldatenrat. Dieser hatte die Amtsvorsteher des Landkreises per Staatstelegramm angewiesen, für Versammlungen der Sozialdemokratischen Partei ein Versammlungslokal zu beschaffen und die Versammlung im öffentlichen Anzeiger publik zu machen. Dies führte zu heftiger Empörung der beteiligten Behörden, da die Versammlungsredner sich überdies auch noch auf Stadtrechnung in einem örtlichen Hotel einquartierten und sich auch, ebenfalls auf Stadtkosten, ein Fuhrwerk stellen ließen. Eine solche Vermengung von Staats- und Parteiangelegenheiten verstieß jedoch nicht nur gegen althergebrachte Regierungsgrundsätze, sondern gerade auch gegen solche, die die neuen Machthaber selbst aufgestellt hatten. Ein kleines Beispiel der Willkür des Arbeiter- und Soldatenrat des Kreises Labiau: Er ordnete rechtswidrig Durchsuchungen nach Lebensmitteln in der Wohnung eines Kaufmanns an und beschlagnahmte diese, obwohl der Kaufmann vom Kommunalverband zur Verteilung der Lebensmittel ausdrücklich ermächtigt worden war. In der Stadt Labiau hat es dagegen solche Übergriffe nicht gegeben. Dort konstituierte sich parallel zum Arbeiter- und Soldatenrat ein Bürgerausschuß, der die Interessen der ansässigen Bürgerschaft vertrat, und der "ständige Fühlungnahme mit dem Arbeiterrat" hielt.

Mohrungen

In Mohrungen gab es im Prinzip, wie so oft in der ostdeutschen Provinz, eigentlich keine revolutionäre Stimmung. Als die Nachricht von der Berliner Revolution endlich in die Stadt gelangte, wurde ein Zettel durch die Mohrunger Kreiszeitung bei der Druckerei C. L. Rautenberg vor dem Geschäftslokal an der Breiten Straße angebracht. Er enthielt die Nachricht von der Abdankung des Kaisers und einige Meldungen über die Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten in vielen Teilen des Reiches.

Bürgermeister Weyde schlug vor, daß zunächst mit den Zivil- und Militärbehörden des Kreises Kontakt aufgenommen werden sollte. Was die Militärbehörden anging, so hatte Mohrungen zwar während des Krieges wiederholt Garnisonen gehabt, doch zur Zeit der Revolution, Mitte November 1918, befand sich hier nur eine Gefangenenbewachungsstelle, die gleichzeitig als Ortskommandantur fungierte. Ihr Leiter war ein Leutnant, der im Zivilberuf Kaufmann in Hamburg gewesen war. Der Landrat, Graf Kanitz, lehnte dagegen zunächst eine Zusammenarbeit mit dem örtlichen Arbeiter- und Soldatenrat ab, weil dessen Vorsitzender vormals juristisch entmündigt gewesen war. Diese Tatsache trug nicht gerade dazu bei, das Ansehen des Mohrunger Arbeiter- und Soldatenrates erheblich zu vergrößern. Schließlich wurde vom Arbeiter- und Soldatenrat selbst Kritik am eigenen Vorsitzenden laut, und dieser wurde schließlich durch einen anderen abgelöst. Auf Anweisung des Arbeiter- und Soldatenrates der Provinz erschien lediglich ab und an aus Königsberg bei der Kreisverwaltung ein Kontrolleur, der im Laufe der Zeit mehrmals wechselte. Als letzter Kontrolleur aus Königsberg kam ein gewisser Herr Meyer, von dem eine Anekdote erzählte, er habe seinen Namen bei der Gegenzeichnung von Schriftstücken immer so dicht vor den des Landrates gesetzt, daß ein Abgeordneter etwas maliziös fragte, weshalb denn der Landrat Graf Kanitz jetzt immer mit dem Vornamen Meyer unterschreibe. Dies solle Meyer so betrübt gemacht haben, daß er sein Amt aufgegeben habe. Es wurde nicht wieder besetzt.

Es wurde ein Sicherheitsdienst eingerichtet, dessen Hauptaufgabe es sein sollte, eine Überrumpelung der Stadt, etwa durch revolutionäre Elemente aus Königsberg oder gar aus Kiel, zu verhindern. Aber nach Mohrungen verirrten sich zu jener Zeit kaum Ortsfremde. Wohl zog eine Fuhrparkkolonne in die Stadt ein, aber nur, um sich aufzulösen. Der Wachdienst des örtlichen Sicherheitsdienstes wurde von den Mohrunger Bürgern längere Zeit durchgeführt. Niemand schloß sich aus. Selbst Landrat Graf Kanitz – er starb 1945 beim Einfall der Sowjets auf seinem Gut Mednicken – beteiligte sich daran mit umgehängtem Gewehr. Als schließlich im Laufe des Jahres 1919 der Arbeiter- und Soldatenrat Mohrungen als politische Instanz abgeschafft wurde, krähte längst kein Hahn mehr nach ihm.



 
     
     
 
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